Verkehrte Welt in Unterhaching:Krippenplätze zu vergeben

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Während es anderswo lange Wartelisten gibt, bekommt das Integra-Haus in Unterhaching seine Gruppen nicht voll. Das könnte auch an Vorurteilen liegen: In der Kita werden Kinder mit und ohne Förderbedarf gemeinsam betreut.

Von Iris Hilberth, Unterhaching

Das Kind ist noch nicht auf der Welt, da geht die Suche nach einem Betreuungsplatz schon los. Obwohl die Kommunen in den vergangenen Jahren das Angebot für die Kleinsten - sei es Kinderkrippen oder Tagesmütterprojekte - tüchtig ausgebaut haben, bleibt es nach wie vor vielerorts schwierig, die Kinder unterzubringen. Da reibt man sich doch verwundert die Augen, wenn eine Einrichtung meldet: Freie Krippenplätze!

Die integrative Haus der Krippenkinder am Grünwalder Weg in Unterhaching kann tatsächlich derzeit noch vier Mädchen und Buben im Altern von ein bis drei Jahren aufnehmen - und zwar mit und ohne Förderbedarf. Bei Integra findet man, dass die Eltern ob eines solchen Angebots eigentlich Schlange stehen müssten. Tun sie aber nicht. "Wir liegen zentral, sind auch von München aus über die Autobahn gut erreichbar, haben einen schönen Garten", zählt Geschäftsführerin Brigitte Haas auf. Auch darf die Einrichtung Kinder aus Nachbargemeinden und aus der Stadt München aufnehmen, da sie die einzige integrative Krippe im gesamten Landkreis ist. "Wir wissen nicht woran es liegt", sagt Krippenleiterin Petra Band.

Man hat bei Integra allerdings schon eine Ahnung, warum die Nachfrage geringer ist, als sie sein müsste. Gut, der Standort liegt nicht zentral im Ort, sondern am Rand nahe dem Gewerbegebiet, gleichwohl aber gut zu erreichen. Vielleicht wissen viele auch nicht, dass Integra auch Kinder ohne Förderbedarf betreut. Vor allem aber scheinen manche Eltern davor zurückzuschrecken, sich um einen Förderplatz für ihr Kind zu bewerben. Aus Angst vor Stigmatisierung und zugleich in der Hoffnung, dass manche Auffälligkeit sich mit der Zeit von alleine gibt.

In der Integra-Krippe können sich die Kinder selbst aussuchen, ob sie mit der Eisenbahn spielen oder etwa im Garten toben wollen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Viel Zuwendung, viel Aufmerksamkeit

Drei Kinder mit Förderbedarf müssen mindestens im Haus aufgenommen sein, um die Anerkennung als integrative Krippe zu erhalten, höchsten sind es ein Drittel der Kinder. Derzeit gibt es freie Plätze sowohl für Kinder mit als auch ohne Behinderung. Die Anzahl der kleinen Mädchen und Buben mit körperlicher Beeinträchtigung sei in ihren Einrichtungen gering, sagt Brigitte Haas. Die Plätze mit Förderbedarf würden häufig mit Kindern belegt, die eine sozial-emotionale Störung aufwiesen. Diese Kinder bräuchten vor allem viel Zuwendung und viel Aufmerksamkeit, sagt Petra Band. "Es sind Kinder, von denen man sagen würde, sie provozieren - ich sage, sie haben viele Fragen", sagt die Krippenleiterin. "Intensivzeit statt Auszeit" ist ihr Konzept. Auch für Kinder, die aus Einrichtungen rausgeflogen sind, weil sie dort nicht zurechtkamen, weil sie Dinge taten, die sie nicht tun sollen.

Geschäftsführerin Brigitte Haas und Krippenleiterin Petra Band (von links) können sich das relativ geringe Interesse der Eltern nicht erklären. (Foto: Sebastian Gabriel)

Häufig hätten Kinder mit sozial-emotionalen Problemen eine Entwicklungsverzögerung, berichten Band und Haas. Dann bräuchten sie ein bisschen mehr Zeit. Vieles sei nicht messbar, nicht in diesem Alter, aber die Eltern hätten eine Ahnung, dass ihr Kind vielleicht eine Förderung bräuchte. Natürlich seien dann manche Eltern im Zwiespalt, wenn der Fokus auf der Förderung liege. "Aber heute Förderplatz heißt nicht immer Förderplatz", sagt Geschäftsführerin Haas, es gehe nicht darum, einen Stempel aufzudrücken. "Aber wir sagen: Lasst uns euer Kind unterstützen, dann sehen wir, wie es weitergeht."

Im Integra-Haus der Krippenkinder geht man vor allem davor aus, dass oft weniger mehr ist. Während sich manche Einrichtungen mit Bildungsangeboten von Früh-Englisch bis zum Naturwissenschaftlichen Forscher-Projekt gegenseitig übertrumpfen, gibt es hier all das nicht. Keine Turnstunde, keinen Morgenkreis, kein gemeinsames Basteln. "Wir lassen unsere Kinder in Ruhe", sagte Leiterin Band. Was aber gleichzeitig bedeutet, dass sich die zwölf Pädagoginnen ganz besonders um die 51 Kinder im Haus kümmern. Das Konzept sieht vor, mit Flexibilität auf die individuellen Bedürfnisse der Mädchen und Buben einzugehen.

Weg vom Leistungsansatz

Denn jedes Kind entwickele sich auf seine ganz eigene Art. "Bei uns entscheidet das Kind selbst, was es machen möchte", sagt Band. Das klingt nach Anarchie, soll es aber nicht. Es geht vielmehr darum, dass sich das Kind in einer vorbereiteten Umgebung selbst aussuchen darf, mit was er sich beschäftigt. Ob es nun im Garten mit Wasser pritschelt, es sich im Schaukeltuch gemütlich macht oder in der großen Reiskiste spielt. "Aber es muss keiner etwas", sagt Band, "wir versuchen die Eltern vom Leistungsansatz wegzubringen."

Das Leistungsdenken beginne eben oft schon in der Krippe, sagt Leiterin Band. "Aber wie kann es sein, dass mit zwei Jahren schon etwas so verkehrt sein kann, dass man da nicht mehr hingehen darf", fragt sie sich. Das ganze System sei eben so: "Heute München, morgen Rom und dann Shanghai. Man will die Kinder halt darauf vorzubereiten." Bei Integra versuche man vor allem den Kindern Stabilität und Sicherheit zu geben, daher habe auch jedes seine Bezugsperson und seine Gruppe. "Die Türen stehen auch nicht offen, es stürmt auch nicht plötzlich jemand rein, die Kinder sollen nicht gestört werden", erläutert sie das Konzept.

Integra arbeitet eng mit Frühförderstelle zusammen. Die Therapeuten für Krankengymnastik, Logopädie oder Ergotherapie kommen ins Haus und arbeiten mit den Kindern. "Das ersparte den Eltern zusätzliche Termine und Wege", sagt Haas. "Wir wollen, dass es allen bei uns gut geht, den Kindern, den Eltern und den Mitarbeitern", betont Band. Das Problem der Fluktuation gebe es hier nicht. "Wer da ist, bleibt", so Haas. Integra zahle nach Tarif, versuche aber in der Eingruppierung den Mitarbeitern entgegen zu kommen. "Wir wissen, es ist eine herausfordernde Arbeit, die nicht mit einem Job im Büro vergleichbar ist. Aber wer das suche, dem gefällt es bei uns."

© SZ vom 06.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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