Haar:Arbeiten und leben werden eins

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Das Werksviertel am Ostbahnhof gilt Städteplanern als Vorbild für die Verbindung von Arbeit, Wohnen und Freizeit. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Hier Wohnviertel, dort Gewerbegebiete - diese Trennung gilt Städteplanern als überholt. Mit der TU München suchen sie Standorte für alternative Konzepte. Als erste Gemeinde im Umland beteiligt sich Haar.

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Platz ist begrenzt, der Verkehr wird immer dichter und die Arbeitswelt verändert sich: Architekten und Stadtplaner arbeiten daher an der Stadt von morgen. Dass sie in Trabantenstädten im Zuschnitt der Siebzigerjahre nicht mehr die Lösung für die Herausforderungen der Zukunft sehen, mag mancher mit Erleichterung sehen. Auch die aneinandergereihten Einfamlienhäuser oder die Reihenhaus-Siedlung sind von gestern. Stattdessen werden Projekte vorangetrieben, bei denen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Kultur zusammengedacht werden. Das Werksviertel am Ostbahnhof gilt vielen als Vorbild. So etwas könnte bald auch in Kommunen im Landkreis Schule machen.

Noch dominieren im Umland weitgehend die klassischen Wohn- und Gewerbegebiete. Doch auch Garching, Unterschleißheim, Haar oder ländliche Gemeinden wie Aying ändern sich rasant. Die Informationstechnologie schafft neue Möglichkeiten. Forschung, Entwicklung und Produktion rücken zusammen. Das Planungsbüro Studio-Stadt-Region will nun in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Raumentwicklung an der TU München in einer Studie am Beispiel von ganz konkreten Grundstücken oder Planungsgebieten untersuchen, wie sich das Münchner Umland entwickeln könnte - oder sollte. "Gewerbe & Stadt - Better Practice in Europe" ist der Name der Untersuchung, die über ein Jahr laufen soll.

Auch Haar hat sich auf der grünen Wiese entwicklt

Laut Agnes Förster, der Leiterin von Studio-Stadt-Region, soll an Hand von positiven Beispielen gezeigt werden, wie Wohnen und Arbeiten zusammengebracht werden könnten. Sie denkt an Projekte wie die Hafencity in Hamburg oder auch den Dreispitz in Basel, ein innerstädtisches früheres Gewerbegebiet, in dem außer innovativen Unternehmen auch kulturelle Einrichtungen Platz finden sollen. Noch sei offen, welche Kommunen in der Region sich an der Studie beteiligen wollten, sagt Förster. Die Stadt München sei interessiert, die Stadt Unterschleißheim ebenso. Fest mit dabei ist mittlerweile nach einem Beschluss des Gemeinderats die Gemeinde Haar.

Dabei ist Haar im Grunde eine Gemeinde, die weitgehend schon verinnerlicht hat, was Förster und andere Stadtplaner propagieren. Zwar wurden nie alte Gewerbestandorte umgewandelt wie jetzt im Münchner Werksviertel, wo Wohnraum für 3000 Menschen entsteht und Arbeitsplätze für 7000; dazu noch der neue Konzertsaal. Haar hat sich als typische Vorortgemeinde auf der grünen Wiese entwickelt mit dem als Antwort auf die Wohnungsprobleme der Siebzigerjahre hochgezogenen Jagdfeld-Wohngebiet. Doch unter Bürgermeister Helmut Dworzak (SPD) wurden klare Maßgaben festgesetzt: Seitdem geht Innen- vor Außenentwicklung und werden Wohngebiete mit Gewerbe- und Freizeiteinrichtungen verwoben. Der Büropark Eglfing steht dafür.

30 000 Quadratmeter Bürofläche stehen leer

Doch genau dort im Büropark kämpft die Bayerische Versicherungskammer seit einigen Jahren, Nachmieter für verwaiste Büroflächen zu finden. Die von der Gemeinde deshalb initiierte Kampagne "Workside Haar", die auf die Qualität des integrierten Wohn- und Wirtschaftsstandorts Haar in unmittelbarer Nähe zu Stadt und Autobahn hinweist, steht deshalb immer wieder in der Kritik. Allerdings hat sich der zuletzt auf 30 000 Quadratmeter quantifizierte Leerstand an Büros in Haar soeben auch deutlich reduziert. Wie aus informierten Kreisen zu hören ist, wird sich so gut wie sicher ein Non-Profit-Unternehmen auf 11 000 Quadratmetern im Büropark einmieten. Etwa 10 000 Quadratmeter blieben alleine dort dann aber noch frei.

In unmittelbarer Nähe befindet sich ein 40 000 Quadratmeter großes Grundstück nördlich der Bebauung in Eglfing, nahe dem Tengelmann-Markt, zu dem nun in der Studie nähere Betrachtungen angestellt werden sollen. Das Areal befindet sich im Eigentum des Bezirks und wird über die Workside-Kampagne als Gewerbestandort seit längerem angepriesen. Doch bei den Versuchen, dort ein für diesen Standort verträgliches Unternehmen zu platzieren "rührt sich nichts", sagt Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD). Firmen ist es angeblich zu weit zur S-Bahn. Dabei ist diese keine sieben Gehminuten entfernt. Auch sonst sei der Standort attraktiv, findet die Bürgermeisterin. Die Gemeinde stoße mit ihren Bemühungen an Grenzen, weshalb aus Sicht von Müller hilfreich sein könnte, über die Gewerbe-und-Stadt-Studie neue Ansätze zu finden. Forderungen von CSU-Gemeinderat Andreas Rieder, sich an solch einem Standort auch für störendes Gewerbe - also mit viel Lkw-Verkehr und lärmenden Betrieben - zu öffnen, lehnt Müller ab. Das passe dort nicht.

Eine Lösung des Haarer Problems kann Projektleiterin Förster nicht konkret versprechen. Aber man wolle auch nicht ins Blaue reden, sonder konkrete Projekte unter die Lupe nehmen. So könnte in einer anderen Gemeinde ergänzend untersucht werden, wie etwa ein bestehendes Gewerbegebiet weiterentwickelt werden könnte. Sechs oder sieben Partner hätte Förster gerne, um ihre Studie starten zu können. Unter anderem soll es darum gehen, wie ohne großen Flächenverbrauch ein lebendiger und vielfältiger Branchenmix zusammengebracht werden kann; auch um Ideen, wie Konversionsflächen oder brach liegende Gewerbestandorte wieder belebt werden oder wie Gewerbe und andere städtische Nutzungen zu vereinbaren sind.

Haars Bauamtschef Josef Schartel erhofft sich interessante Erkenntnisse. Die Herausforderung für die Region sei groß. Bis zum Jahr 2030 werde es hier 284 000 Erwerbstätige mehr geben. "Gewerbe und Menschen müssen zusammenrücken", sagt Schartel.

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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