Garching/München:Süße Sammlung

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Der Münchner Uwe Petschik trägt seit 1997 Zuckerdosen in allen Variationen zusammen. Vor allem auf Flohmärkten wird er fündig. Ein Teil seiner 6000 Kostbarkeiten ist momentan in der Stadtbibliothek Garching zu sehen

Von Gudrun Passarge, Garching/München

Die Reaktion ist bei den meisten Menschen gleich. "Ja, Wahnsinn", sagen sie, wenn Uwe Petschick seine Zuckerdosen herzeigt. Wie bei der Ausstellung im Elisenhof vor ein paar Jahren, als er ein paar tausend auf Regalen stehen hatte. Petschick hat sich genau überlegt, warum das so ist. "Das reißt die Leute völlig aus ihrem Alltag raus, das ist eben ungewöhnlich", stellt der Sammler fest, der durchaus zur Selbstironie neigt. "Ich sage immer, ich habe nicht alle Tassen im Schrank, aber dafür sämtliche Zuckerdosen." Jedenfalls gut 6000 davon.

Eine dicke Orange mit Pausbacken, Birnen, Erdbeeren, Nikoläuse, Teddybären, Pinienzapfen als Deckelknauf, rote, grüne, goldene, elegant geschwungene, eher schlichte, Petschick hat alle erdenklichen Arten von Zuckerdosen. "Von gnadenlosem Kitsch bis zu gelungenen Entwürfen, es ist alles dabei", sagt er selbst und präsentiert sein kleines Zuckerdosenmuseum unterm Dach. Der 72-Jährige wohnt in einer 45 Quadratmeter großen Altbauwohnung in Haidhausen, in der immerhin die Küche, sein Schlafzimmer sowie das kleine Arbeitszimmer zuckerdosenfrei sind. Die Sonne scheint gerade auf die Reihe im Gang, in der sich rote und orangefarbene Zuckerdosen in Reih und Glied aufgestellt haben, und lässt sie in warmen Tönen erstrahlen. An der Wand gehen schmale Holzregale bis unter die Decke und bieten den Sammlerstücken Platz. Im Wohnzimmer sind Tisch und Couch von Dosen umzingelt. Den Platz nutzt der 72-Jährige eher selten, wenn doch, muss er erst mal seine geschwungene Ordnung durcheinanderbringen und die Dosen versetzen.

Dabei hat er in seiner Wohnung nur einen kleinen Teil seiner Sammlung stehen, der größte Teil befindet sich in Kisten verpackt im Keller. Seit 1997, so lange sammelt er jetzt, hat er schon einiges zusammengetragen bei seinen Flohmarktrundgängen. Jetzt, so erzählt er, passiert es sogar manchmal, dass er ganz ohne Dose heimkehrt, "weil nicht mehr so viel auf dem Markt ist. Warum? Weil sie alle schon bei mir in der Wohnung stehen". Außerdem weiß er, dass die Zuckerdose wohl der Vergangenheit angehört. "Heutzutage gibt es Coffee to go und Zuckersticks."

Petschick sieht nicht aus wie ein Zuckerdosensammler. Graues Hemd, in bester Varoufakis-Manier über der dunklen Jeans getragen, graue Haare, ein kurzer, grauer Bart, dazu passen die modernen Bilder an der Wand und das schlichte Design seiner Küche. Zuckerdosenromantik würde da niemand vermuten. Tatsächlich habe er nie etwas gesammelt, sagt er und erzählt, er habe sich selbst gefragt, ob diese Sammelleidenschaft nicht hirnrissig sei. "Aber andere sammeln Tausende von Briefmarken, und das gilt auch als ganz normal."

Die Dosen fanden zu ihm, als ihm seine kaputtging. Da machte sich Petschick auf den Weg zum Flohmarkt, um Ersatz zu suchen, und wurde schnell fündig. Bei einem späteren Besuch fand er aber eine viel schönere Zuckerdose. Und dann noch eine und noch eine. Die Leidenschaft war geweckt. "Für mich strahlen diese Dinge eine gewisse Liebenswürdigkeit aus", sagt er. Mag gut sein, dass auch sein Jagdinstinkt geweckt war, Teil einer jeden Sammelleidenschaft. Denn es gab immer Neues zu entdecken. Heute kann der Sammler über zahlreiche Besonderheiten seiner Zuckerdosen berichten. Etwa von dem böhmischen Porzellan, auf dem "Sudetendeutschland" steht. "Da weiß man gleich, aus welcher Zeit das stammt." Dabei reicht seine Sammlung erheblich weiter zurück. Als Anschauungsobjekt holt er eine Zuckerdose aus Meißner Porzellan. Sie stammt aus einer ganz besonderen Periode, aus der Zeit, als Camillo Marcolini die Manufaktur leitete, also etwa 1803 herum, schätzt Petschick. Zu erkennen ist das am Stern, der zusätzlich zu den Schwertern das Porzellanstück markiert, in der Fachsprache heiße das Markung, sagt Petschik. Dass sie am Boden leicht angeschlagen ist, stört ihn nicht. Vier Euro hat er für das wertvolle Stück gezahlt, "so etwas macht natürlich Spaß".

Petschick hat inzwischen viele Fachbücher gewälzt und wenn nötig, geht er auch mal in die Staatsbibliothek zum Recherchieren. Wieder muss ein Anschauungsobjekt herbeigeholt werden, Petschik schiebt den Küchenstuhl zur Seite und geht los, um eine bestimmte Dose aus dem Regal zu ziehen. Sie ist in Blau und Gold gehalten, auf dem Deckel ist ein Stillleben mit Vogel abgebildet. Vermutlich, sagt der Sammler, sei das gar keine Zuckerdose, aber sie ist trotzdem ein schönes Unikat, handgemalt in Lupenmalerei von Emeran Lidl, der seinen Namen samt Posthorn auf dem Boden der Dose hinterlassen hat. Petschick hat den Hinweis auf den Künstler in einem alten Buch über Münchner Künstlerateliers gefunden. Lidls Atelier war an der Sophienstraße 10. Petschicks Neugier ging so weit, dass er sich die Straße gleich angeschaut hat. "Jetzt weiß ich auch, wo der Glaspalast war, der war nämlich gleich daneben."

Der Sammler erzählt, es habe zu Blütezeiten einmal 450 Porzellanmanufakturen in Deutschland gegeben, vor zehn Jahren waren es noch 35, heute seien es vermutlich noch weniger. Sie alle hatten zahlreiche mehr oder weniger erfolgreiche Kaffeeservice samt Zuckerdosen.

Petschick erzählt, ein Kenner der Branche habe ihm gesagt, dass in seiner Sammlung wohl noch einige Stücke fehlten, weil es circa 20 000 verschiedene Zuckerdosen gebe. Aber er selbst erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr hat er einen anderen Traum. Eine Vision. Mit Worten webt er einen Fleckerlteppich aus Zuckerdosen, an einer Wand in einem Kaffeehaus. Am Tisch fände die Tortenschlacht statt, während die Augen spazieren gehen könnten. Kindheitserinnerungen würden wach. Fast jeder entdeckt unter den Ausstellungsstücken die Zuckerdose, die bei der Oma oder der Tante auf dem Tisch stand. Vielleicht könnte man einen Teil der Dosen auf beweglichen Etageren aufstellen, die sich drehen. Der Sammler malt sich aus, dass so ein Kaffeehaus schnell bekannt würde, dass die Menschen kämen, um die Zuckerdosen zu betrachten. Petschick hat nachgerechnet. Mit seinen Zuckerdosen ließen sich 180 bis 200 Quadratmeter bedecken. Man könnte eine 800 Meter lange Schlange von Zuckerdosen aufstellen. Vielleicht hätte ein Objektkünstler ja auch noch ganz andere Ideen? Petschick ist dafür offen. Für diesen Traum würde er sich sogar von seinen Zuckerdosen trennen.

Ein Teil der Sammlung, etwa 100 ausgewählte Stücke, sind momentan in der Stadtbibliothek Garching zu sehen. Die Ausstellung "Eine Zuckerdose ist eine Zuckerdose ist eine Zuckerdose . . ." ist noch bis zum 18. September geöffnet, jeweils am Montag von 11 bis 20 Uhr, Dienstag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr und jeden ersten Samstag im Monat von 9 bis 13 Uhr.

© SZ vom 18.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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