Bühne:Mit Angie auf dem Jakobsweg

Lesezeit: 2 min

Selbst-Optimierung führt meist in die Sackgasse und hilft am Ende doch nicht weiter, wie der Auftritt des Distel-Kabaretts eindruckvoll zeigt. (Foto: Claus Schunk)

Das Berliner Distel-Kabarett zeigt in Unterhaching, was Selbstoptimierung und oberflächliche Sinnsuche anrichten können

Von Julian Carlos Betz, Unterhaching

Viele Themen in einen unterhaltsamen Abend zu packen, ist eine Sache, sie aber gleichzeitig nicht wie isolierte Einzelteile zu präsentieren, eine andere. Es gehört zu den Vorzügen des Berliner Distel-Kabaretts, dass sie diese Leistung neben der ohnehin ansprechenden schauspielerischen Performance dreier enttäuschter "Flüchtlinge" vor einer wahnwitzigen Gesellschaft bieten können. Eröffnet wird das Stück musikalisch und mit dem effektvoll einsetzenden Regen vor der Kulisse einer Herberge auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Das unmittelbare Nebeneinanderstellen von tief greifenden politischen Themen und eher unbedarften Elementen wird so also schon zu Beginn deutlich. Die Darsteller, Timo Doleys als geschwätziger Pfarrer und Bürgermeister Lars, Caroline Lux als Schulleiterin Marion auf der "Power-Sinnsuche" sowie Stefan Martin Müller als philosophisch begabter Spulenwickler Dirk, können dabei mit unterschiedlichen Fähigkeiten glänzen.

Marion steht dabei für den überforderten Typ des Deutschen, der sich vor Selbst-Optimierung kaum noch retten kann. Zwar weiß sie, dass sie für ihre Mitmenschen offen sein möchte, ist aber unfähig, tatsächlich mit den anderen Gestrandeten auf der Suche nach sich selbst in ein engeres Verhältnis zu treten. Überhaupt ist die Suche nach sich selbst - neben Neonazis, echten Flüchtlingen, Neoliberalismus und Klimawandel - ein Anker der Vorstellung. Dem Zuschauer wird suggeriert: Hier wird viel Energie verwendet auf ein Problem, dass so vielleicht gar nicht existiert.

Auch Dirk, der bescheiden-beschränkte Spulenwickler, versteht Marions Sorgen nicht so recht. Doch auch seine kleine Welt als winziges Rädchen im Getriebe des Weltkapitalismus stößt an die unangenehmen Seiten der Ich-kann-es-nicht-ändern-Haltung. Wenn er etwa von vorübergehender Arbeitslosigkeit wegen eines Besitzerwechsels seiner Fabrik berichtet und der Demütigung durch den neuen Inhaber, der vor Wiedereinstellung eine zweiwöchige, unbezahlte Probezeit verlangt. Es stehen sich also zweierlei Typen gegenüber, die beide nicht so recht zufrieden sind mit ihrem Leben, wenn auch Dirk wenigstens den Versuch von Selbstzufriedenheit durch Abschottung zur Schau stellt.

Lars hingegen, als Pfarrer und Bürgermeister eines durch Abwanderung und Arbeitslosigkeit geplagten Dorfs auf dem Land in Brandenburg, thematisiert seine eigene Person nur am Rande. Er ist mehr Kommentator und Moderator, was sich in seiner Funktion als Bürgermeister ausdrückt. Die Politik und ihre Vertreter bilden dabei ein Panorama des Scheiterns. Doch auch der Bürger, als nur scheinbar unschuldiges Opferlamm übermächtiger Vorgänge in einer sich ständig beschleunigenden Welt, muss viel Kritik einstecken. Denn wer einfach sagt: "Merkel ist schuld", kann auch nicht lange darüber nachgedacht haben, welche Probleme die Gesellschaft nun warum belasten.

Mit Angela Merkel hat das Stück nun auch sein wichtigstes Merkmal bestimmt. Als Metapher für die Sucht der Deutschen nach der beruhigenden, ihn von aller Verantwortung entbindenden Mitte, in der er kein Risiko, kein Experiment wagen muss, und gleichzeitig im Falle von Krisen einfach alles auf diese eine Galionsfigur abwälzen kann. Merkels Auftritt am Ende des Stücks, sehr komisch gespielt von Timo Doleys in golden-glänzendem Paillettenkleid und gebogenen Hörnern auf dem Kopf, führt die Absurdität des "Wir schaffen das" auf sinnliche Weise vor, in der sich letztlich nur das Bedürfnis nach Ruhe verbirgt, das sich der Bürger lieber heute als morgen sichern möchte.

Die Konsequenz ist klar: "Lauf, lauf, lauf den Jakobsweg", wie es in einem der mal melancholischen, mal jazzigen Lieder heißt, die das dynamische Schauspiel unterbrechen. Vielleicht findet sich dort etwas, was einen über die Unsicherheit und Angst in der Heimat hinwegtrösten kann. Und wenn nicht, hat man es wenigstens versucht.

© SZ vom 14.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: