Landgericht München:50.000 Euro für ein Auge

Lesezeit: 3 min

  • Ein Mann erblindet am rechte Augen, weil sich seine Ärzte nicht die Zeit nahmen, ihn gründlich zu untersuchen.
  • Nun zahlt die Uni-Augenklinik Innenstadt freiwillig 50.000 Euro.
  • Auch nach dem Prozess will der 38-Jährige weiter an der Klinik behandelt werden.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Rund 50 000 Euro zahlt die Uni-Augenklinik Innenstadt freiwillig an einen langjährigen Patienten. Er hat rechts das Augenlicht verloren, weil Ärzte eine akute Situation falsch eingeschätzt hatten und sich nicht die Zeit nahmen, ihn gründlich zu untersuchen. Der damals 38-jährige Wirtschaftsinformatiker war kurz vorher an diesem Auge operiert worden - das andere ist wegen einer komplizierten Netzhautablösung ohnehin stark gefährdet.

Den Medizinern hätte diese prekäre Situation bewusst sein müssen, weil der Münchner schon lange ihr Patient ist. Erstaunlicherweise hat der Mann trotzdem nicht das Vertrauen in diese Uni-Klinik verloren und bleibt ihr als Patient treu.

Der Münchner weiß schon seit langer Zeit, dass sein linkes Auge erblinden könnte: Er leidet seit 2006 an einer massiven Netzhautablösung, die mehrmals operiert wurde. Die Sehschärfe ist stark eingeschränkt. Deshalb befürchtete der Mann das Schlimmste, als er im Spätsommer 2010 auf dem rechten Auge schwarze Schatten und Blitze sah. Er ging zu seinen Ärzten in die Innenstadtklinik.

Dort wurde seine Vermutung bestätigt. Er wurde umgehend operiert. Prinzip des Eingriffes ist, dass der Augapfel von außen durch eine Plombe eingedrückt wird, damit sich die Netzhaut besser wieder anlegen kann.

Wie die Untersuchung verlief

Am Tag nach diesem Eingriff fühlte der Mann Schmerzen und informierte die diensthabende Ärztin. Die fragte nach Medikamenten-Allergien. Der Patient verneinte, zumal er dieselben Tropfen auch schon nach früheren OPs bekommen und gut vertragen hatte. Obwohl die Beschwerden anhielten, wurde der Münchner drei Tage nach dem Eingriff entlassen.

Als am nächsten Morgen das Auge zugeschwollen war, packte er seinen Koffer und ging wieder in die Klinik. Er wurde jedoch nicht aufgenommen, sondern von einer Stationsärztin kurz untersucht. Das habe nicht einmal eine Minute gedauert, sagte später seine Rechtsanwältin Beate Steldinger vor Gericht. Er solle auf die Oberärztin warten. Drei Stunden später kam die Stationsärztin zurück und sagte, dass die Chefin angeordnet habe, er solle die antibiotischen Tropfen absetzen - offenbar gebe es eine Überreaktion des Auges auf diese. Der Mann wurde heimgeschickt.

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Wiederum einen Tag später rief er in der Klinik an und berichtete von weiter eskalierenden Beschwerden. Die nun diensthabende Ärztin wies ihn an, das Antibiotikum wieder zu nehmen. Einen weiteren Tag später konnte der Mann nur noch hell und dunkel unterscheiden. Er ging in die Notfallambulanz. Dort wurde festgestellt, dass die Plombe mit Staphylokokken infiziert war. Es gab eine Notoperation.

"Bis heute konnte die Sehfähigkeit meines Mandanten nicht mehr hergestellt werden", sagt die Anwältin. "Dies ist wohl auch nicht mehr zu erwarten." Denn zudem habe sich ein Makulaödem entwickelt und die Hornhaut getrübt. "Es ist ihm nicht möglich, auf dem rechten Auge etwas zu erkennen", sagt Steldinger. Der Mann dürfe von Amts wegen nicht mehr Autofahren - "in der Stadt findet er sich nur noch an ihm sicher bekannten Stellen zurecht". Er sei in psychologischer Behandlung, die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin, mit der er eine kleine Tochter hat, sei zerbrochen. Vor dem Landgericht München I klagte der Mann auf 40 000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Wie die Klinik handeln hätte müssen

Ein Experte der Uni-Klinik Greifswald sagte als Sachverständiger, dass man den Patienten spätestens bei seinem Telefonanruf erneut hätte einbestellen müssen - ihn angesichts seiner Schilderungen nicht erneut zu untersuchen sei "schlechterdings unverständlich". Eine frühere Infektionsbekämpfung hätte möglicherweise noch einiges retten können.

Die Arzthaftungskammer stellte fest, dass hier offensichtlich ein grober Behandlungsfehler vorliege. Dem Patienten sei kein Mitverschulden anzulasten. Das Gericht erklärte, dass laut Rechtsprechung der Verlust eines Auges ein Schmerzensgeld von 20 000 Euro rechtfertige. Hier komme jedoch die Problematik mit dem anderen Auge dazu. Das Gericht erhöhte das Schmerzensgeld deshalb auf 38 000 Euro. Dazu kommen Verdienstausfall und das Risiko künftiger Schäden. Unter dem Strich schlug die Kammer als Vergleich eine Zahlung von rund 50 000 Euro vor. Beide Seiten willigten ein.

Anwältin Steldinger sagte: "Bemerkenswert an diesem Fall ist, dass unser Mandant während der gesamten Zeit des Verfahrens und auch weiterhin in der Augenklinik Patient ist und sein wird, weil dort seine Erkrankung im Detail bekannt ist, und weil er auch mit der Behandlung bei dem ihn betreuenden Oberarzt sehr zufrieden ist." Der Fall zeige, dass trotz einer einzelnen fehlerhaften und sehr bedauerlichen Behandlung weiterhin ein Vertrauensverhältnis bestehen kann "und dies auch durch ein sachliches, emotionsloses Verhalten beider Seiten während des Verfahrens nicht getrübt wurde".

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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