Medizin:Tausende Patienten werden Opfer von Behandlungsfehlern

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  • Jedes Jahr werden Tausende Menschen in Bayern Opfer von Behandlungsfehlern.
  • Hermann Imhof (CSU), der Patienten- und Pflegebeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, fordert nun einen Entschädigungs- und Härtefallfonds für Patienten.
  • Der Fonds solle als Stiftung des öffentlichen Rechts eingerichtet werden, finanziert aus Haushaltsmitteln des Bundes.

Von Dietrich Mittler, München

Als bei Roxana Seibert (Namen aller Betroffenen geändert) am Nachmittag zu Hause das Telefon klingelte, hatte sie noch die Hoffnung, es könnte ihr Mann Herbert sein. Sie dachte, er würde ihr kurz mitteilen, dass bei der OP - mittlerweile ein Routineeingriff - alles gut gelaufen ist. Der Anruf kam tatsächlich aus dem Krankenhaus, aber die Botschaft war eine ganz andere: Sie solle sofort kommen, es sei "etwas Schlimmes" passiert.

Offenbar war bei der Bluttransfusion, nötig geworden durch Komplikationen während der Gallen-OP, ein folgenschwerer Fehler passiert. Der diensthabende Anästhesist hatte die Blutgruppe verwechselt. Die Folgen: Herz- und Atemstillstand, Reanimation, Koma. "Schlamperei - ich habe es überlebt!!!!!", schrieb Herbert Seibert kürzlich an Hermann Imhof (CSU), den Patienten- und Pflegebeauftragten der Bayerischen Staatsregierung.

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Härtefallfonds für Patienten gefordert

Imhof treiben solche Schicksale um. Am Dienstag hat er gemeinsam mit elf Parteifreunden - darunter Bernhard Seidenath, Thomas Goppel und Kerstin Schreyer-Stäblein - im Landtag einen Antrag eingebracht. Darin fordern sie einen Entschädigungs- und Härtefallfonds für Patienten. Nach geltender Rechtslage können Patienten, die Opfer von Behandlungsfehlern wurden, zwar im Rahmen der Arzthaftung auf eine Entschädigung hoffen. Doch ein Blick auf bundesdeutsche Zahlen belegt, dass ihnen dabei oftmals ein beschwerlicher, wenn nicht gar unüberwindbarer Weg bevorsteht. Im Jahre 2013, so zitiert Imhof aus Medienberichten, hätten die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung in 14 600 Fällen als Gutachter geprüft, ob ärztliche oder pflegerische Fehler nachweisbar sind. "Und nur in rund 2400 Fällen wurde dabei festgestellt, dass ein konkreter Behandlungsfehler vorlag und der Patient eindeutig dadurch einen Schaden davontrug", sagt Imhof.

Die Zahlen, die der Patientenbeauftragte und seine Mitstreiter sodann zitieren, machen klar, um was es ihnen geht: In weiteren 1300 Fällen habe zwar nachgewiesen werden können, dass Behandlungsfehler vorliegen - nicht aber, dass diese die nun beklagten Beschwerden verursacht haben. "Es muss aber auch jenen Patienten geholfen werden, deren Beschwerden überwiegend wahrscheinlich durch die Behandlung verursacht wurden", sagt Imhof - mit Beträgen von 10 000 bis maximal 200 000 Euro im Einzelfall. "Wir haben eine Gerechtigkeitslücke zu schließen", sagt Imhof. Dazu aber müsse nun die Staatsregierung den Entschädigungsfonds in Berlin auf den Tisch bringen.

Zudem will die CSU auch einen Härtefallfonds in die Wege leiten. "Er soll Patienten helfen, die durch die Folgen medizinischer Fehlbehandlungen in finanzielle Not geraten sind und noch jahrelange Auseinandersetzungen vor sich haben, bis über ihre Entschädigungsansprüche entschieden ist", begründet Imhof den Antrag im Gesundheitsausschuss. Der Fonds solle als Stiftung des öffentlichen Rechts eingerichtet werden, finanziert aus Haushaltsmitteln des Bundes.

Bei den Oppositionsparteien stieß die CSU mit ihrem Antrag - so wie es Imhof geahnt hatte - auf offene Ohren. Die Forderung an die Staatsregierung, eine Bundesratsinitiative zur Umsetzung des Fonds zu starten, wurde deshalb einstimmig durchgewinkt. Eine solche Initiative rege man schon seit Jahren an, hieß es sowohl seitens der SPD als auch seitens der Grünen. "Und bislang war das immer an der CSU gescheitert", sagt Kathrin Sonnenholzner, die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses nach der Sitzung. Aber das habe sie nun nicht daran gehindert, dennoch mit "ja" abzustimmen. "Es ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Sonnenholzner.

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Ein jähes Ende beim Bundesfinanzminister?

Sie habe allerdings große Bedenken, ob die Finanzierung über Bundesmittel wirklich funktioniere. "Spätestens, wenn das beim Bundesfinanzminister auf dem Tisch liegt, könnte so ein Modell ein jähes Ende finden", glaubt Sonnenholzner. "Wer soll das dann auf Dauer zahlen - etwa der Beitragszahler der Krankenkassen?", fragt sich indes Peter Bauer von den Freien Wählern im Gespräch mit der SZ. Skepsis bleibt auch bei Kerstin Celina, der Gesundheitsexpertin der Grünen, zurück: "Es wird an der Finanzierung hängen", sagt sie. Immerhin aber lasse sich im CSU-Antrag "guter Willen erkennen".

Herbert Seibert und seine Frau Roxana hoffen indes, dass Hermann Imhofs Initiative am Ende doch noch zum Erfolg führt, nach allem was er selbst durchgemacht hat. So etwas sei "dringendst erforderlich". Über die Finanzierung eines Entschädigungsfonds hat er sich seine ganz eigenen Gedanken gemacht. "Die Heranziehung der Verursacher - Ärzte und Krankenhausträger - ist für mich unabdingbar", ließ er den Patientenbeauftragten wissen.

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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