Kunst:Das gefährdete Erbe des Bauhaus-Meisters

Lesezeit: 4 min

Oskar Schlemmer hat Ikonen der Klassischen Moderne geschaffen. Nicht annähernd so bedeutsam sind die Sgraffiti, die er in einer Bogenhauser Wohnanlage hinterlassen hat. Sie prägen aber das Stadtbild, weshalb sich der Verein Nordostkultur für ihren Erhalt einsetzt

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

Oskar Schlemmers berühmtestes Bild hat wahrscheinlich jeder schon mal gesehen. Das Original der "Bauhaustreppe" hängt zwar seit 1933 im Museum of Modern Art in New York City. Aber in Westdeutschland wurde die blaue Bildkomposition mit den drei nach oben strebenden Frauenfiguren im Zentrum auf eine Sonderbriefmarke gedruckt, die mit 69 Millionen Exemplaren die auflagenstärkste des Jahres 1975 war. Und dann sind da noch die Millionen Poster, Kunstdrucke und sonstigen Abbildungen dieser Ikone der Klassischen Moderne. Oskar Schlemmers Bogenhauser Bilder dagegen sind in Vergessenheit geraten - so sehr, dass einige schon übermalt wurden und andere langsam zerbröseln. Jetzt schlägt der Verein Nordostkultur Alarm, weil gerade wieder eines akut gefährdet ist.

Sgraffiti stammen von Oskar Schlemmer. (Foto: Dieter Bauer/OH)

Nun muss man der Ehrlichkeit halber zugeben, dass kaum jemand in den Sgraffiti der Wohnanlage an der Kepler-, Holbein-, Beetz- und Mühlbaurstraße Arbeiten von Oskar Schlemmer erkennen würde. Dafür sind sie viel zu sehr im Duktus des Althergebrachten gestaltet, der Genremalerei der Dreißigerjahre mit ihren archetypischen Bauern- oder Handwerkerfiguren, wie sie den Nazis gefielen. Genau das macht sie auf der anderen Seite aber historisch interessant. Denn Oskar Schlemmer, Maler, Bildhauer und Bühnenbildner, der von Walter Gropius ans Bauhaus berufen wurde und 1922 dessen berühmtes Signet entwickelte - einen stilisierten Kopf im Profil umschlossen von einem Doppelkreis -, dieser Oskar Schlemmer kam natürlich mit den Nationalsozialisten und ihrem rückwärtsgewandten völkischen Kunstbegriff überhaupt nicht zurecht. Nach und nach wurde er aus der Kulturszene vertrieben. In der Schmähausstellung "Entartete Kunst" von 1937 waren fünf seiner Gemälde zu sehen.

Der Putz bröckelt: Sgraffiti in Bogenhausen. (Foto: Dieter Bauer/oh)

Schlemmers Verdrängung begann schon 1933, noch vor Hitlers Machtergreifung, als Studenten der Vereinigten Staatsschulen für Kunst und Kunstgewerbe in Berlin den frischgebackenen Professor als marxistisch-jüdisches Element diffamierten. Der einstige Bauhaus-Meister wurde erst beurlaubt, dann fristlos entlassen und stand mitsamt Frau und drei schulpflichtigen Kindern vor dem Nichts. Über Bekannte fand er eine Wohnung im badischen Eichberg, wo heute eine Gedenkstele an ihn erinnert. Im Herbst 1937 zog Schlemmer nach Badenweiler, drei Jahre später nach Wuppertal, 1943 starb er mit 54 Jahren in Baden-Baden. Die letzten zehn Jahre seines Lebens hatte der einst gefeierte Künstler mit massiven Existenzsorgen zu kämpfen, hielt seine Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser. In Stuttgart arbeitete er bei einem Malerbetrieb, weißelte Wände und verpasste Militäranlagen Tarnanstriche, in Wuppertal testete er Lackfarben auf ihre Verwendbarkeit in der Kunst.

In dieses Bild passt, was der Bogenhauser Lokalgeschichtsverein Nordostkultur für den 1938 fertiggestellten Wohnblock an der Mühlbaurstraße recherchiert hat: Dass Ernst Barth, der Architekt der Anlage, seinem Freund Oskar Schlemmer einen Auftrag für die Kunst am Bau dort zuschusterte. Schlemmer schmückte einen Teil der zwei- bis dreigeschossigen Erker der Anlage mit Sgraffiti. Das sind Bilder, die entstehen, wenn man zwei verschiedenfarbige Putzschichten auf eine Wand aufträgt und dann in die obere Schicht Umrisse kratzt. Dadurch wird der andersfarbige Putz darunter wieder freigelegt, durch den Kontrast entsteht ein Bild.

Das Bild die "Bauhaustreppe" malte Oskar Schlemmer. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Bei der Wahl seiner Motive orientierte sich Schlemmer nicht an den Namen der Straßen rund um den Bogenhauser Wohnblock - anders als sein Kollege Franz M. Jansen, der einen Erker an der Keplerstraße mit dem Astronomen Johannes Kepler verzierte, Stehkragen, Spitzbart, Fernrohr inklusive, und zwei an der Holbeinstraße mit dem Maler Hans Holbein und dem Gelehrten Erasmus von Rotterdam, den Holbein oft porträtiert hat. Schlemmers Sgraffiti an der Beetzstraße dagegen haben mit dem Physiker Wilhelm von Beetz nichts zu tun. Zu sehen sind Feldarbeiter bei der Rast, Sportler bei der Gymnastik. Auch an der Mühlbaurstraße ignorierte Schlemmer den Namensgeber, Generalmajor Gustav von Mühlbaur, und griff auf den Wortsinn des Straßennamens zurück. An den vier Erkern dort sind Szenen der Getreideverarbeitung dargestellt: die dralle Müllerin und der feiste Müller mit dem Mühlrad, die Magd, die das Sacklager fegt, der Bäcker beim Backen, die Brotverkäuferin.

17 Erker der Anlage verzierten Schlemmer und Jansen mit Sgraffiti, heute sind längst nicht mehr alle erhalten. Einige an der Kepler- und Holbeinstraße wurden abgeschlagen, die Flächen geglättet. An der Mühlbaurstraße sind die Kratzputzbilder zwar alle noch vorhanden. Bei Fassadenrenovierungen wurden aber einige achtlos einfarbig überstrichen, sodass die Farbkontraste verloren gingen, die Motive nur noch zu erahnen sind. Und an der Beetzstraße lösen sich an einigen Stellen die Putzschichten. Betroffen ist aktuell vor allem das Sgraffito von Hausnummer 5 - die Szene zeigt eine Familie im Grünen. Im Winter 2016 bröckelte das untere Viertel des Bildes ab. Die Denkmalschützer sahen sich den Schaden bei einem Ortstermin im Sommer 2017 an, weil die Wohnanlage seit dem Jahr 2016 unter Ensembleschutz steht. Das bedeutet, dass alle von außen sichtbaren Veränderungen an Fassaden und Dächern von den Behörden genehmigt werden müssen.

Der Verein Nordostkultur, der den Ortstermin damals initiierte, befürchtet jetzt aber, dass das Kunstwerk weiter verfällt. Derzeit wird das Haus zwar renoviert, über die Restaurierung des Sgraffito dagegen hat die Eigentümerversammlung bisher nicht entschieden. In einem Brief an das Landesamt für Denkmalpflege und die Untere Denkmalschutzbehörde im Planungsreferat schreibt der Vereinsvorsitzende Roland Krack: "Nordostkultur ist besorgt, demnächst vor vollendeten Tatsachen zu stehen", ähnlich wie beim Sgraffito mit dem Mühlrad an der Mühlbaurstraße, das im Sommer 2017 übermalt wurde.

An den örtlich zuständigen Bezirksausschuss (BA) Bogenhausen hat sich der Verein ebenfalls gewandt. Er beantragt, dass die Stadtverwaltung die "gefährdeten Sgraffiti" der Wohnanlage "vor weiterer Beschädigung schützen" soll. "Wünschenswert wäre die Erhaltung der vorhandenen, die Konservierung der beschädigten und die Wiederherstellung der Grafik bei den überstrichenen Sgraffiti", zählt Krack auf. Das Thema steht am Dienstag, 8. Mai, auf der Tagesordnung der BA-Sitzung. Oskar Schlemmers Bogenhauser Bilder mögen künstlerisch gesehen einigermaßen unbedeutend sein. Zum historisch gewachsenen Stadtbild gehören sie aber allemal.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: