Kommentar:Verkehrschaos oder Verdichtung

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Beim Wohnprojekt am Schilcherweg ist der Freistaat in einem klassischen Dilemma - was er auch tut, wird Proteste nach sich ziehen

Von Julian Raff

Auf den ersten Blick scheint am Schilcherweg im Stadtteil Harlaching der Eindruck klar: Hohe Grundstückspreise, niedere Instinkte, Wohlstandsbürger gegen Flüchtlinge und Obdachlose.

Dass stattdessen hinter der Initiative für eine Kindertagesstätte zumindest mehrheitlich der ehrliche Wunsch nach bezahlbarer Betreuung im Stadtteil steht, mag man aber schon am Radius ablesen, den der Unterstützerkreis auf der Stadtkarte zieht: Vom Theodolindenplatz im Herzen Harlachings aus liegt der Standort kaum näher als die Großunterkünfte auf dem ehemaligen Osram-Gelände, das inzwischen geschlossen ist, oder jene auf dem Areal der McGraw-Kaserne. Warum sollte sich jemand, der hier wohnt, hinter einem Kita-Projekt verstecken, um mobil zu machen gegen vier Dutzend Zuzügler in einer winzigen Siedlungsinsel jenseits der Großhesseloher Brücke?

Für die unmittelbaren Anwohner - es sind rund zehn Familien - könnte sich aber mit dem unverhofften Beistand aus dem Maximilianeum langfristig die alte Weisheit bewahrheiten, dass die Götter dessen Gebete erhören, den sie bestrafen wollen: Wer auf dem Weg zur Arbeit, aus dem schmalen Stichweg heraus, in die Geiselgasteigstraße einbiegt, braucht wegen des stetigen Verkehrsstroms bereits heute zunächst viel Geduld - und dann einen flinken Gasfuß. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, welches Chaos hier der allmorgendliche Anliefer-Corso zur Kindertagesstätte in Gegenrichtung produzieren würde - es sei denn natürlich, Anwohner und Eltern stiegen kollektiv in die Trambahn um.

Der Freistaat Bayern kann es jedenfalls am Harlachinger Schilcherweg in allen erwogenen Alternativen nur entweder mehr oder eben weniger falsch machen: Weiterer Leerstand bedeutet Vergeudung öffentlichen Vermögens; dagegen wird ein meistbietender Verkauf mit sozialer Nutzung des Ertrags die Verdichtung des Viertels unweigerlich befördern.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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