Kolumne: After Eight:Auf den Sprizz gekommen

Lesezeit: 5 min

Das waren noch Zeiten, als Kir Royal das Modegetränk der Münchner war. Der Drink dieses Sommers heißt Sprizz - und ist genauso beliebt, jedoch weniger elitär.

Beate Wild

München hat einen Hang zu Trendgetränken. Das war früher schon so, das ist auch heute nicht anders. Keine andere Stadt in diesem Land pflegt seine Beziehung zu gewissen Alkoholika mit einer solchen Hingabe und in Form einer regelrechten Massenbewegung wie München. Oder kennen Sie eine andere Stadt, die derart eng mit einem Getränk verbandelt ist, das ihm in einer Fernsehserie ein Denkmal gesetzt wurde?

Das ist José Garcia Hernandez, Barchef im Münchner Hotel "Mandarin Oriental". Auch er serviert seinen Gästen "Sprizz", das momentane Modegetränk. (Foto: Foto: Rumpf)

Aber jetzt mal von vorne: Wir befinden uns in den achtziger Jahren, Schwabing ist das Mekka der Intellektuellen, der Künstler, der Bohemiens und der Filmemacher. Die Leopoldstraße ist ungefähr das, was heute das Glockenbachviertel ist: trendig, laut, jung und etwas verrückt. Die jüngeren Münchner können sich das heute gar nicht mehr vorstellen, aber damals war die "Leo" noch nicht eine geballte Ansammlung amerikanischer Coffee-Shop-Ketten, Proll-Bars und Fast-Food-Restaurants. Es gab Zeiten, in denen dieses Viertel tatsächlich cool war.

Gut, das ist zwar lange her. Aber genau zu dieser Zeit, als man in Klubs ging, die "Schwabylon", "Why Not" und "Yellow Submarine" hießen, als sich die Schickeria in den Gourmettempeln "Aubergine" und "Tantris" feudale Fressorgien lieferte und als es noch Playboys wie James Graser und Gunter Sachs gab, genau zu dieser Zeit wurde in München das Getränk "Kir Royal" der Renner des Jahrzehnts.

Die Welle schwappte von der Côte d'Azur in die bayerische Landeshauptstadt. Die Zubereitung: Champagner (auf gar keinen Fall billiger Sekt!) mit einem Schuss Crème de Cassis, was nichts anderes ist als gemeiner Johannesbeerlikör. Ursprünglich war das Getränk als Aperitiv gedacht, doch bald trank man es zu jeder Gelegenheit. München war süchtig nach dem königlichen Kir.

Die Serie zum Gesöff

Das beobachtete auch Helmut Dietl, der sich ebenfalls gerne - damals noch mit Gattin Barbara Valentin - in den Schickimicki-Kreisen der Stadt herumtrieb. Er erkannte den Zusammenhang zwischen Schickeria und Kir Royal. Und ihm fiel damals auch noch ein gewisser Klatschreporter namens Michael Graeter auf, der mit seinen Geschichten über die absurde Bussi-Bussi-Gesellschaft sein Geld und einen gewissen Ruhm verdiente. Dietl haderte nicht lange mit sich und so entstand die Kultserie um den Reporter Baby Schimmerlos, die nach dem legendären Gesöff der Achtziger-Jahre-Schickeria benannt ist.

Übrigens konnten sich nicht alle Münchner damals den Champagner-Cocktail leisten - auch wenn der Rest der Republik das zu wissen glaubte. Die einfacheren Leute hatten ein anderes Lieblingsgetränk: Rüscherl, also Cognac mit Cola.

Weil die Zeiten wohl doch härter wurden und man Trends aus Italien schon immer gerne aufschnappte, wurde Anfang der neunziger Jahren Prosecco zum neuen In-Getränk. Der leicht perlende Weißwein war wesentlich billiger als Champagner und hörte sich schicker an als ordinärer deutscher Sekt. Der Prosecco-Trend schwappte übrigens zeitgleich mit der Latte-macchiato-Welle nach München. Bis dato hatte man Cappucino geschlürft, jetzt wurde es Zeit für einen neuen Kaffee.

Lesen Sie auf Seite 2, wann und wo man Perlachschorle und Hörner-Whiskey getrunken hat und was die nächsten Modegetränke sind.

Dann kam die Techno-Ära Mitte der neunziger Jahre endlich auch in München an. Im Juni 1994 öffnete das legendäre "Ultraschall" auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Riem seine Türen. Mit der neuen Bewegung kam auch ein neues Getränk in die Stadt: Wodka Red Bull, in München auch bald Perlachschorle genannt. Das Engergy-Getränk aus Österreich umwehte zu der Zeit noch der Hauch von Verbotenem. Gemischt mit Wodka machte es die Tänzer fit, um die ganze Nacht durchzuraven. Bald trank man die Perlachschorle nicht nur in der Raver-Szene, sondern auch in den Schickimicki-Läden "P1" und "Maximilians". Münchens Ausgehszene war von Perlachschorle überzeugt.

Woher der Name kommt? So angesagt das Getränk auch war, es hatte doch einen leichten prolligen Touch. Und da Perlach bekanntermaßen einer von Münchens sozialen Brennpunkten ist, kam es schnell zu dieser Wortschöpfung.

Etwa zeitgleich kam übrigens die Mode auf, Prosecco "auf Eis" zu trinken. Einige der zu der Zeit angesagten Lokale wie die "Reitschule" oder das "Tresznjewski" fingen damit an. Bald war Prosecco auf Eis in der ganzen Stadt vertreten. Es war das ideale Sommergetränk, der neueste Renner.

Ende der neunziger Jahre kam dann die Jägermeister-Welle in die Stadt. Der deutsche Kräuterschnaps hatte es irgendwie angestellt, sein Image aufzupolieren und war plötzlich wieder hip. Wer etwas auf sich hielt, trank den Hörner-Whiskey, wie ihn Insider nannten. Die italienische Variante Averna war eher etwas für Mädchen, und Ramazotti sowieso nur für totale Weicheier.

Und während sich Anfang des neuen Jahrtausends in Restdeutschland die sogenannten Alkopops größer Beliebtheit erfreuten, erlebte in München der Cuba libre sein Revival. Zur WM 2006 tauchte dann zum ersten Mal ein völlig neues Getränk auf: Prosecco Aperol. Dem beliebten Prosecco auf Eis wurde einfach ein Schuss Aperol zugefügt. Die Fußballfans saßen beim Public Viewing im "Volksgarten" am Stiglmaierplatz oder im "Sax" im Glockenbach, jubelten Klinsi und Mannen zu und schlürften Prosecco Aperol.

Dieser Sommer ist der Höhepunkt der Sprizz-Welle

Seither hat sich der rote Likör aus Italien immer mehr durchgesetzt. Die Spitze des Trends scheint gerade in diesen Sommer erreicht zu sein. Egal in welches Lokal man geht, die Mehrheit der Gäste trinkt das hellrote Getränk: Die Studentenkneipe in der Maxvorstadt, die Nobeldisko im Haus der Kunst und die Schwulenbar im Glockenbach, alle schenken das neue Modegetränk literweise aus.

Prosecco Aperol oder wahlweise Sprizz, der derzeit fast stärker im Trend zu liegen scheint. Sprizz, das ist Weißweinschorle mit Aperol und einem Stück Zitrone beziehungsweise Limette, also kein Prosecco. Ist dadurch etwas leichter, aber sehr ähnlich im Geschmack. In edleren Lokalen bestellt man Veneto Sprizz (also Sprizz aus Venetien), andere schreiben Spritz, wieder andere glauben mit der Variante Spriz die richtige Bezeichnung getroffen zu haben. Gemeint ist immer das Gleiche, auch wenn die Preise für dieses neue Münchner Modegetränk extrem schwanken. Das hänge von der Qualität des Weißweins ab, versuchen einem die Wirte stets weiszumachen.

Von Kir Royal zum Sprizz: Die Wirtschaftskrise?

Was jetzt noch zu klären wäre, ist die Frage, ob man die Entwicklung vom Kir Royal zum Sprizz als gesellschaftliches Phänomen deuten muss. Weißweinschorle ist wesentlich billiger als Champagner, ein Zeichen der Wirtschaftskrise? Sind die dekadenten Zeiten in München jetzt endgültig vorbei? Können sich bald alle sowieso nur noch Bier leisten?

Zur Lösung dieses Problems müssen wir eigentlich nur auf das nächste Modegetränk warten, das den Sprizz mit Sicherheit im nächsten, spätestens übernächsten Jahr ablösen wird. Heute zeichnen sich da schon einige Kandidaten ab. In manchen Bars im Glockenbach (etwa "Hey Luigi" oder "Schnelle Liebe") trinkt man momentan schon verstärkt Liquide Cocaine, ein Stamperl halb Espresso, halb Wodka. In wieder anderen Locations ("Erste Liga" oder "Favorit Bar") ist der Apfelstrudel sehr im Trend, Büffelgras-Wodka mit Apfelsaft.

Chancen hätte auch der Munich Mule, ein Cocktail aus Wodka, Ginger Ale und Gurke, der der Legende nach im "Nage & Sauge" erfunden wurde. Oder wird es doch wieder eine Prosecco-Variante? In einigen Bars sieht man seit Neuestem ein paar Trendsetter schon Prosecco Rhabarber trinken. Wir sind gespannt.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

Bookmark: www.sueddeutsche.de/aftereight

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: