Klinikum Schwabing:Forschung am mumifizierten Schwein

Schweinemumie, mumifiziertes Schwein wird im Klinikum Schwabing in die in die Kernspin-Röhre geschoben.

Nach der Untersuchung in der Kernspin-Röhre wird das Schwein in der Pathologie zurück in den Holzsarg gelegt.

(Foto: Florian Peljak)
  • Am Klinikum Schwabing haben Forscher vor fünf Jahren ein Schwein einbalsamiert.
  • Es war ein Experiment im Dienste der Wissenschaft. Die Pathologen hielten sich streng an altägyptische Vorgaben.
  • So wollten sie herausfinden: Ist die Anleitung praktikabel? Wie groß war der Aufwand? Und wie lange dauerte es, bis eine Mumie fertig war?

Von Jakob Wetzel

Andreas Nerlich hat Schlimmeres befürchtet. Am Telefon hat der Pathologe und Mumienforscher gewarnt: Die Mumie komme zwar aus dem Sarg gleich in einen luftdichten Leichensack, aber womöglich müsse man sie vor der Untersuchung auspacken, das könne riechen, hat er gesagt. Vielleicht könne man den Körper in Plastikfolie wickeln, er werde zusehen, dass keiner umkippe. Doch jetzt steht Nerlich im Keller des pathologischen Instituts im Klinikum Schwabing, das er als Chefarzt leitet, er beugt sich über den Holzsarg und lächelt. "Mein Geruchssinn ist nach 33 Jahren Pathologie nicht mehr der Beste", sagt er. "Aber für mich riecht das jetzt weniger nach einer Mumie, sondern eher speckig. Wie beim Metzger."

Im Sarg vor dem Pathologen liegt das inoffizielle Maskottchen des Instituts: ein mumifiziertes Schwein. Es ist die jüngste Mumie, mit der Nerlich es je zu tun hatte. Vor etwas mehr als fünf Jahren hat er das Tier selbst einbalsamiert, es war ein Experiment im Dienste der Wissenschaft. Der Chefarzt und die Präparatoren Alfred Riepertinger und Ralph Gillich hielten sich streng an altägyptische Vorgaben. Und das Experiment ist nicht beendet: Die Mumie hat einen Termin in der Radiologie, sie soll in die Kernspin-Röhre geschoben und im Computertomografen durchleuchtet werden. Zum ersten Mal wird Nerlich sehen, was unter den Binden mit dem Körper geschehen ist. Doch erst muss die Mumie heraus aus dem Sarg, heraus auch aus dem pathologischen Institut am Rand des Klinikgeländes, und hinüber in die moderne Apparatemedizin.

Wozu das alles? Nerlich holt aus. Seit vielen Jahren beschäftige er sich mit Mumien, erzählt er. Manche von ihnen sind auf natürliche Weise ausgetrocknet, der Gletschermann Ötzi etwa oder auch jene fünf Adligen, die 2011 in einer Gruft östlich von Ingolstadt gefunden worden sind. Andere dagegen sind das Werk von Profis, die Körper wurden aus religiösen Gründen einbalsamiert, um Jahrtausende zu überdauern. Zahllose solche Mumien hat der Münchner Pathologe bei Ausgrabungen in Ägypten untersucht. Besonders ihre Machart habe ihn dabei fasziniert, sagt er. Heute verwenden Präparatoren Formalin, um Leichen zum Beispiel für Überführungen zu konservieren. Die antiken Einbalsamierer aber hatten nur Naturprodukte zur Verfügung. Gerne hätte er einem von ihnen einmal bei der Arbeit über die Schulter geblickt. Sehen konnte er aber immer nur ihr fertiges Werk.

Immerhin theoretisch war Nerlich klar, wie die Einbalsamierer vorgingen; präzise hat das etwa der Geschichtsschreiber Herodot im fünften Jahrhundert vor Christus aufgeschrieben. Nerlich aber wollte es genauer wissen: Ist jene Anleitung praktikabel, oder überlieferte Herodot nur Hörensagen? Wie groß war der Aufwand? Wie lange dauerte es wirklich, bis eine Mumie fertig war? Und über all diesen Fragen reifte in dem Pathologen ein Entschluss: Er probierte es einfach aus. Nicht an einem Menschen, aus ethischen Gründen. Sondern an einem Schwein.

Ein Körper war schnell gefunden. Nerlich bat die Tiermediziner der Ludwig-Maximilians-Universität in Oberschleißheim um ein Jungschwein, das ohnehin eingeschläfert werden musste. Über 70 Tage hinweg - so lange dauerte eine Einbalsamierung im alten Ägypten aus kultischen Gründen - entzogen Nerlich, Gillich und Riepertinger dem Schwein nach allen überlieferten Regeln der Kunst die Flüssigkeit, damit es nicht faulte.

Sie schnitten das Tier auf, entnahmen Lunge, Leber, Darm und Magen, füllten den Hohlraum mit Säckchen voller Natron und mit einer Mischung aus Myrrhe und Nelken, Rosmarin, Thymian, Lavendel und anderen Gewürzen. Dann legten sie den Körper für 40 Tage in einen eigens gezimmerten Sarkophag und deckten ihn mit 200 Kilogramm Natron zu, um ihn auszutrocknen. Danach leerten sie das Schwein, wuschen es mit Weißwein, bestrichen es mit Honig, schließlich mit Bitumen. Am Ende umwickelten sie es mit 100 Leinenbinden, wie sie alltäglich im Krankenhaus verwendet werden.

Als sie das Schwein mit Weißwein einrieben, roch es sogar richtig gut

Sie hätten dabei viel gelernt, sagt Nerlich. Zum einen, dass Herodots Anleitung erstaunlich gut sei. Alles habe reibungslos funktioniert, die Zeitangaben seien plausibel. Zum anderen, wie groß der Aufwand, wie ausgefeilt aber dafür die damalige Technik war. Nicht zuletzt die Gewürze waren geschickt gewählt. Es habe ihn überrascht, wie wenig das Schwein gestunken habe, sagt Nerlich. Als sie es mit Weißwein einrieben, "da hat es sogar richtig gut gerochen, das hätte ich nie gedacht!" Wenn die Münchner etwas nicht verstanden, überprüften sie die Angaben. Einmal etwa legten sie separat zwei Schweineherzen vom Metzger ein, eines in Natron wie bei Herodot, eines in Meersalz, das liege doch nahe, sagt Nerlich. Doch die Ägypter behielten Recht. Das Natronherz war nach 40 Tagen trocken und gut erhalten. Das Herz im Meersalz dagegen begann zu verwesen.

Als alles fertig war, legten die Münchner ihre Mumie zurück in den Sarg. Dort blieb sie bis heute, nur hin und wieder wurde sie gewogen. Dabei hätten sie im Grunde auch schon die erste Erkenntnis gewonnen, sagt Nerlich: Das Schwein habe bis heute zwei Drittel seines Gewichts verloren. Anfangs wog es 90 Kilogramm, heute nur noch 30.

Der Pathologe und sein Gespann sind mittlerweile angekommen, Riepertinger und Gillich haben die Mumie auf einen Rollwagen gehoben, in einen Sack gehüllt und durch unterirdische Gänge in die Radiologie geschoben - nicht nur, damit sie nicht durch den Schnee auf den Straßen müssen, sondern auch, weil man Patienten in einem Krankenhaus den Anblick eines gefüllten Leichensacks gerne erspart. Nun wird es eng: Die Schweinemumie ist sperrig, sie passt gerade so in die Röhre des Kernspintomografen. Wirklich zu sehen ist dann aber nur wenig: Der Großteil des Monitors bleibt schwarz.

Das komme daher, dass die Muskeln ausgetrocknet seien, sagt Andreas Saleh, Chefarzt der Radiologie. Es gebe kaum noch Feuchtigkeit im Schwein. Zu erkennen ist nur ein breiter heller Bereich am Rücken. "Man sieht einen Speckmantel und ein paar Signale darüber", sagt der Radiologe. Allerdings sehe das Fett nach all den Jahren erstaunlich normal aus.

Im Computertomografen ergibt sich dann ein anderes Bild. Im Bauchraum des Schweines etwa entdecken die Mediziner noch ein paar Säckchen Natron, die haben die Präparatoren vor Jahren dort vergessen. Nerlich nickt: "Das finden wir bei ägyptischen Mumien auch immer wieder", sagt er. Es gibt noch eine Überraschung. "Das ist ja alles Luft!", ruft Saleh. Was er im Kernspin für trockene Muskeln gehalten hatte, erweist sich unter den Röntgenstrahlen als bloßer Hohlraum. Und auch das Fett wirkt hier alles andere als normal, die Röntgendichte ist erheblich höher. "Vielleicht ist es zu Fettwachs geworden", sagt Nerlich.

Die Untersuchung ist abgeschlossen, das Schwein ist zurück im Keller der Pathologie. Andreas Nerlich sitzt in seinem Büro zwei Stockwerke höher. Alles sei gut gelaufen, sagt er, auch wenn er weniger sehen konnte als erhofft. Nur die Luft in der Mumie macht ihm Sorgen. Sie könnte irgendwie aus der zerfallenden Muskulatur entwichen sein; das wäre gut. Sie könnte aber auch ein Hinweis auf Fäulnisgase sein. Das wäre schlecht. Durch das Einbalsamieren sollte eine Verwesung ja gerade verhindert werden. Vielleicht sei die Luftfeuchtigkeit ein Problem, sagt Nerlich. Im alten Ägypten lag diese bei zehn Prozent. Einen so niedrigen Wert könne man beim besten Willen nicht herstellen.

Woher die Luft wirklich stammt, will Nerlich in ein paar Wochen herausfinden. Er möchte der Mumie am Rücken mit dem Skalpell ein Fenster in die Binden schneiden und eine Probe entnehmen, ganz vorsichtig, um nicht versehentlich Mikroorganismen abzutöten. Dabei will er auch herausfinden, ob sich in der Mumie Fettwachs gebildet hat und ob sie womöglich von Pilzsporen befallen ist.

Natürlich sei das alles nicht komplett auf menschliche Mumien übertragbar, sagt er noch. Schweine und Menschen seien sich zwar bei allen Unterschieden vergleichsweise ähnlich, vor allem hätten beide Spezies kein Fell. Aber Schweine hätten ein höheres Körperfett, deshalb auch der speckige Geruch. Gerade der fehlende Gestank aber habe ihn beeindruckt. "Wir wissen jetzt nicht nur, wie die Einbalsamierung funktioniert und wie lange sie dauerte, sondern auch, dass das Vorgehen auch von der Geruchsbelastung her tatsächlich praktikabel war." Auch in einer ägyptischen Totenstadt, die ja von den Lebenden regelmäßig besucht wurde, habe man es geruchlich wohl ganz gut ausgehalten.

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