Klinikum Großhadern:Tödlicher Behandlungsfehler bei Kleinkind - Eltern klagen gegen Ärzte

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  • Für Hannah hätte es vor etwa drei Jahren eigentlich nur eine harmlose Routine-Untersuchung sein sollen - eine Kernspin-Untersuchung wurde gemacht.
  • Das kleinwüchsige Mädchen erhielt dazu jedoch eine Narkose, aus der sie nicht mehr erwachte.
  • Ein Gutachter wirft dem verantwortlichen Personal des Uni-Klinikums Großhadern schwerwiegende fachliche Fehlentscheidungen vor.

Von Ekkehard Müller-Jentsch, München

Der Tod eines zweijährigen Mädchens im Klinikum Großhadern ist laut einer Expertise auf grobe Behandlungsfehler zurückzuführen. Das legt ein Gutachten von Professor Rolf Rossaint nahe - der vom Landgericht München I bestellte Sachverständige ist Direktor der Aachener Klinik für Anästhesiologie. Der in Fachkreisen hoch angesehene Experte bescheinigt dem verantwortlichen Personal des Uni-Klinikums schwerwiegende fachliche Fehlentscheidungen.

Für Hannah hätte es vor rund drei Jahren eigentlich nur eine harmlose Routine-Untersuchung sein sollen. Das kleinwüchsige Mädchen mit seiner Skelett-Wachstumsstörung war den Medizinern im Klinikum gut bekannt. Die Ärztin des Kindes im Sozialpädiatrischen Zentrum hatte damals eine Kernspin-Untersuchung der Wirbelsäule angesetzt. Damit die Kleine in der lauten und engen Röhre des Geräts ruhig bleibt, hatte die Medizinerin per Rezept eine Narkose mit Chloralhydrat verordnet.

Bereits an diesem Punkt hakt der Sachverständige ein: Expertenverbände hätten schon damals empfohlen, Chloralhydrat nicht mehr einzusetzen, um Kinder ruhigzustellen. Tue man es entgegen dieser einheitlichen Warnung der Fachgesellschaften doch, so hätte das vorerkrankte Kind angesichts des erhöhten Narkoserisikos besonders sorgfältig überwacht werden müssen, schreibt der Sachverständige. Seiner Meinung nach war die Verwendung des Präparats "zumindest fehlerhaft" und die Überwachung "grob fehlerhaft".

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Der Professor kritisiert auch, dass eine nichtärztliche Mitarbeiterin das Anästhetikum verabreicht hatte. Weder während des Eingriffs noch vor der Entlassung sei der arterielle Sauerstoffgehalt des Blutes durch Pulsoxymetrie - dazu bedarf es nur einer Art Klemme an einem Finger oder am Ohrläppchen - überwacht worden. "Dieses fehlerhafte Vorgehen hat den Schaden bei der kleinen Patientin verursacht", schreibt Rossaint. "Der Schaden hätte mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können, wenn hier lege artis vorgegangen worden wäre."

Hannahs Eltern hatten geschildert, dass ihr Kind nach der Untersuchung, obwohl noch nicht erwacht, bereits entlassen worden sei. Darüber gebe es keine Dokumentation, stellt der Experte fest. Doch sollte es so gewesen sein, wäre die Entlassung "eindeutlich grob fehlerhaft zu früh" erfolgt. In der Klinik seien zudem gebotene Befunde nicht erhoben worden, etwa Laboruntersuchungen - auch das wirft der Fachmann den Ärzten vor.

"Aus gutachterlicher Sicht liegt ein grober Behandlungsfehler vor"

Hätten die notwendigen Befunde vorgelegen, wäre wahrscheinlich die Sedierung mit großer Sorgfalt durch entsprechend qualifiziertes Personal erfolgt, meint der Aachener Professor, und es hätte auch eine bessere Überwachung gegeben. So aber stelle das Vorgehen einen groben Behandlungsfehler dar. Die unterlassenen Maßnahmen seien "aus medizinischer Sicht schlechterdings unverständlich, aus gutachterlicher Sicht liegt somit ein grober Behandlungsfehler vor".

Den Eltern könne man auch nicht vorwerfen, in die Behandlung eingewilligt zu haben. In den vorliegenden Unterlagen finde sich kein Hinweis auf alternative Behandlungsmethoden, die Zuziehung von Narkosespezialisten oder eine stationäre Überwachung. Den Eltern seien somit, sagt der Sachverständige, wesentliche Aspekte zur Abschätzung des Risikos für ihr Kind vorenthalten worden.

Rechtsanwalt Jürgen Klass, der Hannahs Eltern vertritt, sagt: "Ein derartig eindeutiges, sogar den groben Behandlungsfehler bestätigendes Gerichtsgutachten ist in der Praxis nur sehr selten vorzufinden." Er hat sowohl Strafanzeige erstattet, als auch ein Zivilverfahren wegen Schadensersatzes angestrengt.

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Hannah hatte im November 2012 durch die fragwürdige Medikamentengabe einen schweren Hirnschaden erlitten, war ins Koma gefallen und Anfang 2016 in einer Kinderklinik gestorben. Die Pressestelle des Klinikums sah sich am Dienstag wegen eines Postweg-Irrläufers noch nicht in der Lage zu einer Stellungnahme: "Das Gutachten ist gerade erst in der Anwaltskanzlei eingetroffen und liegt unserer Rechtsabteilung noch nicht vor." Der Fall wird voraussichtlich nicht vor Jahresende vor Gericht verhandelt.

© SZ vom 13.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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