Kinderbetreuung:Fehlende Hortplätze: Eltern schreiben Protestbrief

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Es wäre schön, wenn es einfach genügen würde, schon einmal sein Handtuch hinzuhängen. Aber so bekommt man keinen Betreuungsplatz. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Ewige Wartezeiten, fehlendes Personal, plötzliche Absagen: Die Kinderbetreuung in einer der reichsten Städte Deutschlands funktioniert nicht so, wie sie sollte.
  • Nun haben 540 Mütter und Väter in München einen Protestbrief an den Stadtrat geschickt

Von Melanie Staudinger, München

Als die Münchner Stadträte kürzlich ihre Post geöffnet haben, ist unter all den Einladungen und Sitzungsvorlagen auch ein Schreiben Münchner Eltern gewesen mit einer ganz deutlichen Überschrift: "Die Kinderbetreuung ist und bleibt ein Brennpunkt." 540 Mütter und Väter haben ihn unterschrieben, Familien, die alle gemeinsam vor einem großen Problem stehen. Die Kinderbetreuung in einer der reichsten Städte Deutschlands funktioniert nicht so, wie sie eigentlich sollte. Die einen quälen sich mit dem zentralen Anmeldeportal Kita-Finder herum, weil sie noch immer keinen Platz bekommen haben für September. Und anderen, die sich schon in Sicherheit fühlten, flattert plötzlich eine Kündigung ins Haus. Die Gruppe des Kindes könne doch nicht starten, weil Erzieher fehlen. Die Botschaft: Suchen Sie sich einen anderen Platz!

Der Protest der Münchner Eltern fällt in die Zeit des Bundestagswahlkampfs, in dem die Parteien durchaus um die Gunst der Familien buhlen: Die SPD fordert, dass alle Kita-Plätze kostenlos werden sollen. CDU und CSU wollen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder einführen. Doch in der bayerischen Landeshauptstadt können viele Väter und Mütter nicht mehr warten. Die Zeit drängt, das neue Schuljahr beginnt in gut zwei Monaten. Die Elternberatungsstelle der Stadt kann gerade bei Hortkindern nur vertrösten: Denn es gibt einfach bei Weitem nicht genüg Plätze für alle Interessenten. Das wiederum liegt nicht am Geld, sondern daran, dass Erzieherinnen fehlen.

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In ihrem Protestbrief fordern die Eltern nun mehr Anstrengungen von der Stadt. Noch bessere Arbeitsbedingungen für die Erzieher, bezahlbarer Wohnraum und kreativere Ideen seien gefragt. Alle müssten zusammen helfen: So könnten Unternehmen mehr in die Verantwortung genommen oder Randzeiten mit 450-Euro-Jobbern abgedeckt werden. Außerdem fragen die Eltern: "Wie können wir unterstützen und zur Verbesserung der Situation beitragen?" Wie diese Situation aussieht, führt Briefverfasserin Monika Schreck, Elternbeiratsvorsitzende des Kindergartens am Dietzfelbinger Platz in Neuperlach, beispielhaft an den Vorgängen im Münchner Osten aus.

Schon 2015 mussten viele Eltern hinnehmen, dass sie wegen des Personalmangels ihre Kinder erst später bringen konnten oder sie früher abholen mussten, schreibt sie. Jetzt drohe das erneut. Zudem könne im kommenden Betreuungsjahr kaum eine Einrichtung so viele Kinder aufnehmen, wie zugelassen wären, "weil die Personalsituation es einfach nicht zulässt". Etliche Häuser könnten keine einzige Zusage geben. Das bedeute auch, dass Krippen-Kinder keinen Kindergartenplatz bekämen, die Krippe aber Ende September verlassen müssten.

Ohne Betreuungsplatz stünden die Familien vor immensen Problemen. Wenn sie ihr Kind selbst beaufsichtigen müssten, könnten nicht beide Vollzeit arbeiten. Bei Alleinerziehenden gibt es dann gar kein Einkommen mehr. Und auch für die, die aktuell nicht arbeiten, sei es ein Teufelskreis: Denn ohne Betreuungsplatz bekommt man keinen Job, ohne Job aber auch keinen Betreuungsplatz. Für die Kinder hat das Fehlen von Kita-Plätzen ebenfalls Konsequenzen, denn sie bräuchten einen Ort der Sozialisierung und des Lernens. Alles, was in Krippe und Kindergarten versäumt worden sei, müsse in der Grundschule aufgeholt werden. Doch auch da fehlen Ganztagsplätze.

Das Bildungsreferat ist nicht untätig geblieben in den vergangenen Jahren. Es wirbt im Ausland um Personal, bei der Bundeswehr und bei Jobmessen. Abiturienten dürfen die fünfjährige Ausbildung verkürzen, die Stadt zahlt ihren Erziehern außertarifliche Zulagen von mehr als 320 Euro im Monat. Doch die Eltern wollen nicht mehr länger vom Bildungsreferat hören, wie schwierig es sei, ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher zu finden, sondern sie wollen Lösungen. Dafür wären die Eltern sogar bereit, mehr Geld für ihren Kita-Platz zu zahlen: Bei den einkommensgestaffelten Gebühren könnten doch im Bereich der Gutverdiener noch mehr Gehaltsstufen und damit höhere Beiträge eingeführt werden, schlagen sie vor.

Die Stadt versucht es gerade an einer anderen Front, nämlich in Gesprächen mit dem Freistaat, wie die Dritte Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) verriet. Derzeit gebe es im Grundschulbereich fünf verschiedene Angebote: die Mittagsbetreuung, den Hort, das Tagesheim, die offene und die gebundene Ganztagsschule. Sie alle haben unterschiedliche Anmeldungen, Öffnungszeiten, Preise. "Wir müssen uns auf ein zukunftsgerichtetes Modell einigen", sagt Strobl. Eines, das den späteren Nachmittag ebenso abdeckt wie den Freitagnachmittag und die Ferien. Und eines, in dem die Eltern einen Platz bekommen.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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