Kinderbetreuung:Die Offenheit hat ihre Grenzen

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Kinder beim Spielen mit Fingerfarben: Für unseren Autoren ist der Begriff "offenes Konzept" eher ein Euphemismus für fehlende Pädagogik und Personalmangel. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Beim Hosenstall etwa. Oder aber im Kindergarten: Wenn dort von einem offenen Konzept die Rede ist, empfiehlt sich Vorsicht.

Kolumne von Johan Schloemann

Vor ein paar Tagen lud der AfD-Kreisverband München Ost ins Gasthaus Goldener Stern zum Vortrag einer vampirähnlich aussehenden Verschwörungstheoretikerin. Ihr Thema lautete: "Die Ideologie der ,Offenen Gesellschaft' - Wolf im Schafspelz."

Ich war verhindert. Aber die Plakate für diese Veranstaltung haben mir tagelang nicht nur den Weg zur Arbeit verleidet, sondern auch die Absicht, offen zu sagen, was gegen Offenheit zu sagen ist. Wer will schon den noch so falschen Eindruck erwecken, etwas mit ausländerfeindlichen Vampirinnen in Truderinger Wirtshäusern gemein zu haben?

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Und doch, die Angst vor ihnen darf uns nicht lähmen, freimütig zu bekennen: Offenheit ist nicht immer gut. Bei Hosenställen etwa. Oder bei Wunden, Zahnlöchern, Fragen, Affronts. Bei den unkoordinierten Baustellen auf Münchens Straßen. Bei Esoterikbuchläden und Nachfolgeregelungen in der Staatskanzlei. Bei Virenschutz, Briefen und dem Strafraum des TSV 1860. Bei Telefongesprächen in der S-Bahn, Schlägereien und Feinstaub. In jedem Fall aber Verdacht schöpfen sollte man, wenn man ein bestimmtes Zauberwort hört: "offenes Konzept".

Offenes Konzept, das geht so: Eltern, die sich auf der Suche nach einem Betreuungsplatz in einer Mischung aus Aufdringlichkeit und gespielter Demut versuchen, besichtigen einen Kindergarten am Tag der offenen Tür. Und natürlich traut sich keiner von ihnen zu sagen, wie grässlich das ist, was sie da zu sehen bekommen: Fünfzig, hundert Kinder oder mehr streunen durch diverse Räume ohne Türen. Es gibt keine Gruppen, keine Struktur, keine gemeinsamen, vorgebenen Aktivitäten, Spiele oder Lieder. Krippenbabys krabbeln an Vorschulkindern vorbei und nehmen deren Legosteine in den Mund, einer kritzelt kurz was im Malraum und zieht gleich weiter, jeder ist auf sich gestellt, die totale Entscheidungsfreiheit von Vierjährigen wird sogar angepriesen, es ist höllenlaut, noch viel lauter, als es in einem Gruppenraum werden kann.

"Offenes Konzept", so verstanden, ist ganz offenkundig ein Euphemismus für fehlende Pädagogik und Personalmangel. So werden Münchens Kinder sicher nicht am besten auf die offene Gesellschaft vorbereitet. Sollte es nachvollziehbare Einwände gegen diesen Verdacht geben, bin ich dafür meinerseits offen.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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