Jubiläum:70 Jahre SPD: Als München wieder rot wurde

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Sozis beim Salvator: Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (li) und OB Thomas Wimmer (Dritter v.li.) im Jahr 1957. Innenminister August Geiselhöringer (Zweiter v.li.) gehörte der Regierung Hoegner als Mitglied der Bayernpartei an. (Foto: Alfred Strobel)
  • Am 2. März 1946 fand die erste Mitgliederversammlung der wiederauferstandenen Münchner SPD statt.
  • Thomas Wimmer wird zum Vorsitzenden gewählt, 1948 wird er Oberbürgermeister in München.
  • An diesem Mittwoch zelebriert die Münchner SPD das Jubiläum in der so genannten Echardinger Einkehr.

Von Wolfgang Görl

"Wir müssen die kleinbürgerlichen Schichten, die Handwerker, die Gewerbetreibenden, die Angestellten und Beamten um uns sammeln, die heute enttäuscht, führungslos und verzweifelt dastehen und diese furchtbare Zeit nicht mehr verstehen. Ihre bürgerliche Welt ist in Trümmer gesunken, wir müssen ihnen helfen, eine neue Welt zu gewinnen. Und diese neue Welt kann nur die des Sozialismus sein."

Also sprach der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner, seit Ende September 1945 bayerischer Ministerpräsident, am 25. November 1945 im Prinzregententheater bei der ersten großen Kundgebung der Münchner SPD nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Interesse der Münchner war so groß, dass sich die Partei gezwungen sah, die Veranstaltung gleich zweimal abzuhalten, zunächst vormittags und dann nachmittags. Hoegner blickte mit Grausen zurück auf die Jahre der NS-Diktatur, gegen die "wir Sozialdemokraten mit aller Kraft und Leidenschaft" gekämpft haben.

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Eine Zukunft im Zeichen des Sozialismus

"Wir haben nach der Machtergreifung der Nazis den Kampf illegal gegen sie fortgesetzt. Hunderte unserer besten Kameraden sind in den Konzentrationslagern und Gefängnissen des Dritten Reiches hingemordet worden, Tausende von uns sind mit dem Bettelstab in der Hand in die Verbannung gegangen." Am Ende seiner Rede beschwor Hoegner eine Zukunft im Zeichen des Sozialismus: "Deshalb, bayerische Männer und Frauen, helft mit durch rastlose Arbeit diese sozialistische Welt, dieses wahre Reich der Freiheit für euch und eure Kinder zu gewinnen!"

Im Juni 1933 war die SPD als "volks- und staatsfeindliche Organisation" verboten worden, schon zuvor hatten die Nazis begonnen, Sozialdemokraten, Kommunisten und andere Gegner des NS-Staates zu verfolgen. Nach dem Krieg, nach zwölf Jahren im Exil, im Untergrund, in der inneren Emigration oder in Haft, zögerten die Sozialdemokraten nicht, sich neu zu organisieren. Auch in München sammelten sich die Genossen, um in der Politik wieder mitzumischen. In der Regel waren es die erfahrenen Parteimitglieder, die schon in der Weimarer Republik für die SPD stritten, welche den Aufbau neuer Strukturen maßgeblich in die Wege leiteten - allen voran Thomas Wimmer, der die Münchner SPD von 1919 bis 1933 angeführt hatte und bis 1933 Stadtrat gewesen war.

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Bereits im Mai 1945 hatte die amerikanische Militärregierung unter anderen einige Sozialdemokraten in die neue Verwaltungsspitze der Stadt berufen, darunter auch Wimmer, der als stellvertretender Leiter des Arbeitsamts in den Dienst trat. Als kommissarischen Oberbürgermeister setzten die Amerikaner jedoch Karl Scharnagl ein, der von 1925 bis 1933 an der Spitze der Stadt gestanden hatte. In den Jahren der Weimarer Republik war Scharnagl Mitglied der Bayerischen Volkspartei, er war ein Gegner der Nationalsozialisten, die ihn einige Monate ins KZ Dachau sperrten. Nach dem Krieg war der konservative Politiker maßgeblich an der Gründung der CSU beteiligt.

Thomas Wimmer organisierte die Partei in der Stadt

Während der aus dem Schweizer Exil zurückgekehrte Wilhelm Hoegner vorwiegend mit der Landespolitik zu tun hatte, kümmerte sich Thomas Wimmer um die Reorganisation der Münchner SPD. Er sammelte alte Weggefährten wie Toni Weiß, Albert Roßhaupter, Gustav Schiefer oder Max Peschel um sich und beantragte im Oktober 1945 bei der Militärregierung, die Partei wieder zuzulassen. Am 17. November erhielt die Münchner SPD von den Amerikanern die Genehmigung zur politischen Betätigung, einige Tage zuvor war bereits die örtliche Kommunistische Partei (KPD) zugelassen worden.

Der "SPD-Ortsverein München", wie er damals hieß, richtete sein Parteibüro in der Mathildenstraße ein. Im ersten Aufruf der Parteileitung hieß es selbstbewusst: "Am 17. November 1945, vormittags 10 Uhr, wurde auf Grund eines Ansuchens vom 17. Oktober bei der Militärregierung die Sozialdemokratische Partei in München erlaubt.

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Damit beginnt für alle Einwohner Münchens, die sich zum Sozialismus und zur Demokratie bekannt haben und wieder bekennen, ein neuer Zeitabschnitt. Mit altem Namen und neuer Kraft ist die Partei gewillt, an den gewaltigen Aufgaben Seite an Seite mit anderen antifaschistischen Kräften zusammenzuarbeiten, um aus der Armut und dem Elend, in die uns das Hitler-Reich gestürzt hat, allmählich wieder herauszukommen."

In diesem Sinne machte man sich sofort an die Arbeit, die rund eine Woche später in der Kundgebung im Prinzregententheater, bei der Hoegner seine ebenso programmatische wie pathetische Rede hielt, einen ersten Höhepunkt fand. Im Januar 1946 erschien auch die Münchner Post wieder, die Zeitung der SPD, welche die Nazis im März 1933 verboten hatten.

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Die heutigen Genossen hätten diesen 17. November im vergangenen Jahr als 70. Jahrestag der Wiedergründung feiern können, doch sie haben ein anderes Datum gewählt: den 2. März. An diesem Mittwoch zelebriert die Münchner SPD das Jubiläum in der Echardinger Einkehr, und dabei wird auch der Historiker Michael Stephan sprechen, der Leiter des Münchner Stadtarchivs.

Die erste Mitgliederversammlung der Münchner SPD

Stephan hat Akten und Archive durchstöbert, um die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren, und dabei ist er auch auf den 2. März 1946 gestoßen. Das war der Tag, an dem die erste Mitgliederversammlung der wiederauferstandenen Münchner SPD stattfand. Eigentlich, so der Plan von Thomas Wimmer, sollte die Partei bei dem Treffen ihre Kandidaten für die auf den 31. März angesetzte Stadtratswahl aufstellen.

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Daraus aber wurde nichts, weil die Wahl für das städtische Gremium noch vor der Versammlung auf den 26. Mai verschoben worden war. Eine wichtige Entscheidung trafen die Genossen am 2. März dennoch, wie Wimmer in seinem Tagebuch notierte, das heute im Stadtarchiv aufbewahrt ist: "Generalversammlung der Partei. Zum Vorsitzenden gewählt. 279 Stimmen von 292 abgegebenen."

Gut drei Wochen später, am 19. März 1946, kamen die Münchner Sozialdemokraten erneut zusammen, diesmal zum ersten offiziellen Parteitag nach dem Krieg. Zu dieser Zeit hatte die Münchner SPD 55 Sektionen mit etwa 6500 Mitgliedern, im Jahr 1933 waren es noch fast doppelt so viele gewesen. Die Versammlung, so berichtet Stephan, fand in der überfüllten Kantinenhalle der Steinheil-Werke an der St.-Martin-Straße statt.

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Hauptredner war Kurt Schumacher, damals der politische Beauftragte der Sozialdemokratie für die drei westlichen Besatzungszonen. Unter anderem plädierte Schumacher für die Einheit Deutschlands im europäischen Rahmen, forderte die Abschaffung der Rüstungsindustrie und stellte, wie zuvor schon Hoegner, fest: "Deutschland wird eine sozialistische oder gar keine Demokratie sein."

Doch es kam anders, auch in München: Bei der ersten Stadtratswahl erreichte die CSU 20 Sitze, die SPD kam auf 17 und die KPD auf zwei Sitze. Zwei Jahre später aber siegte die SPD, am 1. Juli 1948 wählte der Stadtrat den Sozialdemokraten Thomas Wimmer zum Oberbürgermeister - ein Amt, das die Münchner SPD, sieht man von der kurzen CSU-Blüte unter Erich Kiesl ab, bis heute gepachtet zu haben scheint.

© SZ vom 02.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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