500 Jahre Reinheitsgebot:Die Kulturgeschichte des Münchner Biers spielt nicht nur in Deutschland

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Bevor Schloss Kaltenberg den Wittelsbachern gehörte, war es im Besitz jüdischer Brauer, die einmal die zweitgrößte Brauerei Münchens betrieben. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der jüdischen Familie Schülein gehörte lange die zweitgrößte Brauerei Münchens - bis sie "arisiert" wurde. Ausstellungen im Jüdischen Museum und Münchner Stadtmuseum solche Geschichten.

Von Barbara Hordych

Juden als Minderheit waren schon immer Innovationsgeber, sagt Bernhard Purin. Er ist der Kurator der Ausstellung "Bier ist der Wein dieses Landes", die erstmals eine jüdische Kulturgeschichte des Biers schildert. Einen Schwerpunkt bilden dabei die jüdischen Brauherren in München und Umgebung.

Als besonders innovativ erwies sich beispielsweise der aus Mittelfranken stammende jüdische Brauherr Josef Schülein, der 1895 in München die Unionsbrauerei "Schülein & Cie" gründete, die sich rasch zur zweitgrößten Brauerei Münchens entwickeln sollte. Ein Porträt aus dem Jahr 1929 zeigt einen gemütlich dreinblickenden "Bierbaron": Er galt als Wohltäter und wurde gerne als "König von Haidhausen" bezeichnet, erzählt Purin. "Zu seinem vielfältigen sozialen Engagement gehörte auch, dass er jedem Haidhauser Kind zur Firmung eine Uhr schenkte."

Josef Schülein und sein Sohn Hermann fusionierten 1921 mit der Löwenbräu AG. Während sich der Senior auf Gut Kaltenberg zurückzog, das er mitsamt Brauerei gegen Ende des Ersten Weltkrieges erworben hatte, festigte Löwenbräu unter seinem Sohn Hermann als Generaldirektor seinen Ruf als bedeutendste exportierende Brauerei Münchens: "Bereits 1895 rollten 117 kühlbare Bierwaggons von München nach Berlin und durch ganz Europa bis nach Barcelona", sagt Kurator Purin.

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Sohn Hermann emigrierte 1935 nach seinem von den Nationalsozialisten erzwungenen Rücktritt in die USA. "Er war einer der wenigen jüdischen Unternehmer aus München, die dort weiter Geschäftserfolge hatten", sagt Purin: Als Manager führte Schülein Junior die "Liebmann Breweries" in New York mit ihrer Biermarke "Rheingold" nicht nur aus einer Krise heraus, sondern machte sie in den Folgejahren zu einer der größten Brauereien an der amerikanischen Ostküste.

Das gelang ihm mit der Entwicklung neuartiger Marketingstrategien: Von 1940 an veranstaltete er jährlich die Wahl der "Miss Rheingold"; die Gewinnerin fungierte dann ein Jahr lang als Werbegesicht für die Marke. Er gewann auch Stars wie Louis Armstrong, Nat King Cole, Marlene Dietrich, Ella Fitzgerald und John Wayne als Werbeträger - Ideen, die in den USA bis heute als vorbildhaft im Bereich der Markenbildung gelten.

Seine Verbundenheit mit München belegt eine Werbeanzeige in der New York Times vom 27. Oktober 1958: Sie zeigt den damaligen Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer bei der Verkostung von "Rheingold-Extra-Dry". Hintergrund war eine Reise Hermann Schüleins in Begleitung von zahlreichen "Misses Rheingold" nach München, wo er Thomas Wimmer traf. "Ich weiß gar nicht, ob der Oberbürgermeister jemals davon erfuhr, dass er seitenfüllend in der New York Times erschien", sagt Purin.

Und wie erging es dem in Deutschland zurückgebliebenen Josef Schülein? "Er starb 1938 hochbetagt auf seinem Alterssitz Schloss Kaltenberg", erzählt Purin. Die Brauerei wurde "arisiert", nach dem Krieg restituiert und 1954 von den ebenfalls von den Nationalsozialisten verfolgten Wittelsbachern gekauft. Kontakt zwischen den Familien Schülein und Wittelsbach besteht bis heute: "Wenn die Nachfahren der Familie Schülein aus Amerika nach München reisen, gehen sie zum Mittagessen immer zu Prinz Luitpold", erzählt Purin.

Innovativ ist übrigens auch ein eigens für die Ausstellung gebrautes Bier, mit dessen Verkostung die Rundgänge und Kuratorenführungen abgerundet werden. Der Herzl Beer Workshop aus Jerusalem und die Münchner Crew Republic haben sich zusammengetan und erstmals ein gemeinsames bayerisch-israelisches Bier entwickelt, das einen Eindruck von der geschmacklichen Vielfalt bietet, die innerhalb des Bayerischen Reinheitsgebots möglich ist.

Dem Einfluss des Gerstensaftes auf die Entwicklung der Münchner Stadtkultur, die bildenden Künste, die Feste und das Kabarett spürt ganz in der Nähe das Stadtmuseum nach: Die Ausstellung "Bier.Macht.München" beschäftigt sich eingehend mit der Rolle des "fünften bayerischen Elements" in Gesellschaft und Politik. Zu beiden Ausstellungen gibt es zahlreiche Führungen, Vorträge, Stadtrundgänge, Verkostungen und Radltouren.

Bier ist der Wein dieses Landes , 13. April bis 4. Feb. 2017, Jüdisches Museum München, Sankt-Jakobs-Platz 16, Di-So, 10 bis 18 Uhr; Bier.Macht.München , 8. April bis 8. Jan. 2017, Münchner Stadtmuseum St.-Jakobs-Platz 1, Di-So, 10 bis 18 Uhr

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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