Isarvorstadt:Mit Vernunft gegen Extremismus

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Eine Podiumsdiskussion über den Islam an der Mittelschule Wittelsbacherstraße punktet mit Offenheit und Verständnis

Von Stephanie Probst, Isarvorstadt

Erst diese Woche verübten Islamisten Anschläge in Istanbul, mindestens zehn Deutsche kamen dabei ums Leben. Die Angst vor dem Terror hat Europa, hat Deutschland erreicht. Viele Muslime und islamische Gemeinden distanzieren sich von dem Terror des Islamischen Staates; sie sagen, die Terroristen können angesichts ihrer Taten gar keine Muslime sein. Doch trotzdem kommt es zu Gewalt und Terror, im Namen des Islam. Bieten also islamische Gemeinden in Europa unbewusst Herberge für diese Extremisten?

Die Schüler der Mittelschule Wittelsbacherstraße ließen es sich nicht entgehen, was die Teilnehmer der Podiumsdiskussion zu sagen hatten. (Foto: Robert Haas)

Diese Frage wurde auch bei der Podiumsdiskussion an der Mittelschule an der Wittelsbacherstraße 10 erörtert. Knapp 60 Schülerinnen und Schüler aus den 9. und 10. Jahrgangsstufen bildeten das Publikum für die vier Podiumsteilnehmer: Benjamin Idriz, der Imam des islamischen Forums in Penzberg, der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung Martin Neumeyer (CSU), der katholische Pfarrer von St. Maximilian Rainer Maria Schießler sowie die sunnitisch-islamische Schülerin Safiya Ouadah diskutierten über den Islam in Deutschland, seine Probleme, aber auch über die Chancen. Moderiert wurde die Runde vom SZ-Journalisten Christoph Hollender.

Imam Benjamin Idriz und Pfarrer Rainer Maria Schießler. (Foto: Robert Haas)

Safiya ist 15, sie trägt ein braunes Kopftuch. Als Rainer Maria Schießler und Martin Neumeyer ihr zu Beginn die Hand zur Begrüßung reichen, erwidert sie den Handschlag nicht. Die Gründe dafür erläutert sie später bei der Podiumsdiskussion: "Weil man laut der Religion nicht die Hand geben darf. Natürlich soll man die Kultur der anderen akzeptieren, aber ich schüttele nicht die Hand, weil meine Mutter sagt, dass ich bei so etwas vorsichtig sein soll", erklärt sie. Neumeyer und Schießler äußern Verständnis. Schießler verteidigt: "Deswegen ist sie ja nicht extremistisch. Ich kann mich danach richten, denn so gelingt Integration." Imam Idriz sieht ihr Verhalten differenzierter: "Damit wir eine gemeinsame Basis haben, müssen andere Safiyas Verhalten respektieren. Doch sie muss auch wissen, dass es im Koran nicht verboten wird, jemandem die Hand zu geben. Wenn es in Deutschland die übliche Tradition ist, dann hat das mit der Religion nichts zu tun." Idriz plädiert außerdem dafür, die Koranverse auch in einem historischen Kontext zu lesen. In einem Beispiel erklärt er, im Koran stehe, dass man die Frau des Propheten Mohammed nicht heiraten dürfe: "Für mich hat dieser Vers natürlich heute keine Bedeutung mehr. Mohammeds Frau lebt heute nicht mehr. Und so muss man auch viele andere Suren lesen, sie also in einen historischen Kontext setzen." Schießler ergänzt, dass die Vernunft ein wichtiges Mittel sei, um Extremismus zu entgehen: "Mir muss durch meine Vernunft klar werden, dass Gewalt gegen meinen Glauben geht." Idriz zufolge müsse sich die muslimische Gemeinschaft mehr öffnen, denn die Situation sei bereits vergiftet durch Pegida und Rechtsextreme. Die europäischen Werte würden es dem Islam in Europa ermöglichen, sich positiv zu entwickeln: "Imame aus dem Ausland bringen uns nicht weiter. Es soll mehr Imame geben, die in Deutschland ausgebildet und sozialisiert worden sind", erklärt Idriz zum Abschluss der Diskussionsrunde.

Zwei Stunden hört das bunt gemischte Schülerpublikum interessiert zu, danach stellen viele Schüler Fragen. Fast zwei Drittel von ihnen haben einen Migrationshintergrund, ein Viertel ist muslimisch, insgesamt besuchen 46 Nationen diese Mittelschule. Im Unterricht wird viel über Religion diskutiert. Diese Veranstaltung sollte den Schülern nun neue Ansätze und Sichtweisen bieten.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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