Hilfsbereites München:Tonnenweise Nächstenliebe

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Außer Verpflegung und medizinischer Versorgung gab es bei der Ankunft auch Zuwendung für die Flüchtlinge. (Foto: Robert Haas)

Die Spendenbereitschaft der Münchner für die Zugflüchtlinge aus Ungarn ist so groß, dass jetzt sogar Kleider, Lebensmittel und Hygieneartikel übrig sind. Was damit geschieht.

Von Thomas Anlauf und Melanie Staudinger

An den Ausgängen des Starnberger Flügelbahnhofs sind fein säuberlich Wasser- und Saftflaschen in einer Reihe aufgestellt. Daneben warten vorsortierte Hygieneartikel auf ihre neuen Besitzer: Zahnpasta befindet sich in jedem Paket, ebenso wie Cremes oder Seife. Männer erhalten zusätzlich einen Rasierer, Frauen Tampons oder Binden, Kleinkinder Windeln.

Drinnen in der alten Schalterhalle gibt es warme Getränke, Kleidung, Schuhe, Obst und eine Brotzeit. An den Wänden, die vor zwei Tagen noch kalt und karg wirkten, hängen nun Willkommensplakate und Informationen, etwa wo man ein Frühstück bekommt. Alles ist vorbereitet - und doch stehen die freiwilligen Helfer tatenlos auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs. Eins nämlich fehlt: Abnehmer für all die Spenden, die Tausende Münchner gebracht haben.

Es ist Tag eins nach dem großen Flüchtlingsansturm. Mehr als 3500 Asylsuchende zählte das Polizeipräsidium München seit Beginn dieser Woche, allein 3300 davon kamen am Dienstag und in der Nacht zuvor. Die meisten von ihnen reisten aus Ungarn über Österreich an. Dort hatte die Regierung die am Bahnhof Budapest-Keleti wartenden Flüchtlinge kurzfristig ausreisen lassen - viele von ihnen wollten in den Westen, nach Deutschland. Mehr als 3500 Flüchtlinge binnen nicht einmal 48 Stunden, das ist selbst für die bayerische Landeshauptstadt eine enorm hohe Zahl. Mehr als 1000 Ankünfte an einem Tag gab es im ganzen Jahr noch nicht.

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Am Mittwoch hat sich die Lage am Hauptbahnhof deutlich entspannt. Noch immer ist der Vorplatz auf der Nordseite des Bahnhofs abgesperrt, doch die Zelte der medizinischen Katastrophenhilfe und der Feuerwehr wirken verwaist. Drinnen in der Schalterhalle warten ein paar Dutzend Flüchtlinge, dass sie in ihre vorläufigen Unterkünfte gebracht werden. Das ist Routine für Polizei, Ärzte, Sanitäter, Feuerwehr und die Mitarbeiter der Regierung von Oberbayern. Sie kümmern sich darum, dass die Asylsuchenden registriert und medizinisch untersucht werden, bevor sie in eine sogenannte Erstaufnahmeeinrichtung ziehen und einen Asylantrag stellen.

Zur Routine, zum Alltag am Starnberger Flügelbahnhof gehört aber auch, dass kaum mehr freiwillige Helfer benötigt werden. 30 sind es noch an diesem Mittwoch, nur ein Bruchteil derer, die am Tag zuvor den Flüchtlingen einen herzlichen Empfang bereitet haben. Ohne die Ehrenamtlichen hätten viele der erschöpften Asylsuchenden nach ihrer Ankunft in München unter Hunger und Durst leiden müssen, denn es dauert lange, bis das offizielle Versorgungszentrum steht. Doch dank der Helfer erhielt jeder, der durch die gläserne Flügeltüren mit der Aufschrift "Welcome in Germany" kam, Wasser, Obst oder sogar einen Teller mit heißer Tomatensuppe.

Am Dienstagnachmittag waren es dann so viele Helfer, die in der alten Schalterhalle Hilfsgüter stapelten und an die Flüchtlinge verteilten, dass die Polizei schließlich den Saal weitgehend räumen musste. Die Asylbewerber sollen schließlich möglichst rasch mit Bussen weiter gebracht werden. Mehrere Hundert Menschen mussten am gleichen Tag sogar noch in andere Bundesländer reisen.

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Und auch der Platz für all die Spenden geht aus, ein benachbarter Supermarkt hilft mit seinen Kühlräumen aus, damit die Speisen wenigstens nicht verderben. "Wir versuchen jetzt zu organisieren, dass die Spenden zu Bedürftigen kommen", sagt einer der freiwilligen Helfer. Die Münchner Tafel wird am Nachmittag die Nahrungsmittel abholen, die Kleidung geht an die Diakonia, die sie dann an Flüchtlinge weitergeben wird. Eine erste Ernüchterung macht sich auf dem Vorplatz breit.

Die Freiwilligen kamen, weil sie die Flüchtlinge begrüßen wollten, weil sie ein politisches Statement gegen Rechtsradikale und Rassisten setzen wollten, weil sie einfach helfen wollten. Jetzt packen sie im Nieselregen all die Dinge, die sie Stunden zuvor in mühevoller Arbeit sortiert haben, wieder zusammen. Windeln stapeln sich auf Paletten, ebenso die Hygieneartikel und das Essen. Nur die Wurstsemmeln, die bleiben. Damit könne die Tafel nichts anfangen, sagt einer. Einige Helfer sind enttäuscht, dass ihr Einsatz nicht mehr gebraucht wird. "Es war zwar vorher etwas chaotischer, aber es hat funktioniert", sagt ein Mann, der am Dienstag von morgens bis zum frühen Abend ununterbrochen mit angepackt hat.

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Bilder der Münchner Hilfsbereitschaft gehen um die Welt

Andere wiederum sind noch euphorisiert und stolz darauf, was sie geschafft haben. Die Bilder der Münchner Hilfsbereitschaft gehen um die Welt. Kamerateams aus den USA und Großbritannien berichten stundenlang vom Hauptbahnhof und senden rührende Szenen: Eine junge Frau kniet am Boden und wickelt ein fremdes Baby. Ein Polizist trägt einer Mutter zwei große Taschen hinterher, darin ein Teddybär, Decken, Pullis. Ein anderer Beamter schleppt Dutzende Wasserflaschen in die Halle. Die Polizei ist betont freundlich. Die meist jungen Beamten lächeln, fragen Münchner, die unschlüssig in der Halle stehen, wie man ihnen weiterhelfen kann.

Zwei Buben kicken hinter der Absperrung mit einem Ball, den sie geschenkt bekommen haben. Daneben steht ein kleines Mädchen. Sie pustet Seifenblasen in die Luft und lacht laut auf. Vor der Halle türmen sich Kleidersäcke. Drei junge Frauen stehen dort und ziehen Flüchtlingskindern frische Hemden und Hosen an, die Münchner für die Ankommenden vorbeigebracht haben. Sogar ein Friseurstand ist aufgebaut.

Übrig gebliebene Spenden wurden abtransportiert, wie hier von der Münchner Tafel. (Foto: Robert Haas)

"Ihr seid wirklich freiwillig da? Nur wegen uns?"

Nicht nur international, sondern auch in München erhalten die Helfer viel Anerkennung. "Wenn man den Münchnern sagt, helft, dann helfen sie. Darauf kann man wirklich stolz sein", erklärt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), als er das Ankunftszentrum im Starnberger Flügelbahnhof besucht. Auch Regierungspräsident Christoph Hillenbrand lobt die Münchner für ihre spontane Hilfsbereitschaft. "Diese Hilfe ist wichtig für den sozialen Frieden in dieser schwierigen Situation", sagt er. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, meldet sich ebenfalls zu Wort: "Die Welt sieht jetzt auf wunderbare Weise, was Weltstadt mit Herz bedeutet. Ich bin zutiefst beeindruckt und bewegt von den Bildern."

Und auch die Asylsuchenden, die auf ihrer oft monatelangen Flucht viel Schreckliches erlebt haben, sind gerührt von so viel Solidarität. Immer wieder brandet Applaus auf, manche kommen sogar extra bei den Helfern vorbei und bedanken sich, bevor sie in den Bus zur neuen Unterkunft steigen. Andere wiederum können das Engagement gar nicht fassen. "Ihr seid wirklich freiwillig da? Nur wegen uns?", fragt ein junger Syrer auf Englisch, der gerade aus Budapest angekommen ist. Und auf Deutsch fügt er hinzu: "Danke, danke, danke."

Helfer und Behörden bitten, keine Spenden für Flüchtlinge mehr zum Hauptbahnhof zu bringen. Wer Sachen abzugeben hat, kann sich im Kreativquartier, Schwere-Reiter-Straße 2, oder bei der Diakonia, Dachauer Straße 192 oder Stahlgruberring 8, melden.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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