Hilfe und Beratung:Mut fassen

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Die Interventionsstelle des Münchner Landkreises hilft Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt werden. Zu den Aufgaben gehört auch, das Thema zu enttabuisieren - während die Aufklärung zunimmt, steigen die Fallzahlen

Von Gudrun Passarge, München

335 Frauen sind 2015 in Deutschland durch häusliche Gewalt zu Tode gekommen. Mit dieser schockierenden Nachricht beginnt der Münchner Landkreis seine Pressemitteilung, um auf die Aktion anlässlich von zehn Jahren "runder Tisch gegen häusliche Gewalt" hinzuweisen. Auch in München und im Landkreis, beide werden statistisch zusammengefasst, gab es schon Todesfälle, sagt Tanja Böhm, Leiterin der Interventionsstelle Landkreis München (ILM). 2015 waren es elf Fälle, 2016 starben fünf Frauen. Mit den Aktionstagen will der Kreis das Thema ins Bewusstsein rufen und enttabuisieren. "Wir hoffen, dass sich dann noch mehr Frauen trauen, sich zu melden", sagt Böhm.

Frauen wie Klara Z. (Name geändert), deren Geschichte zwar einzigartig ist, aber dennoch typisch für die Gewalt, die Frauen zu Hause erleben. Klara Z. schildert einen Ehemann, der sich am Anfang sehr um sie bemüht hat, "er hat mir alle Wünsche erfüllt". Doch nach der Heirat habe sich sein Verhalten verändert, "das ging ganz langsam los". So schildert Klara Z. ihre Ehe: Er wurde eifersüchtig und fuhr seine Frau überall hin und holte sie wieder ab. Er machte, was er wollte, sie sollte zu Hause alles in Ordnung halten. "Es war ein Frauenbild wie früher, Frauen an den Herd." Sie bemühte sich, trotz Berufstätigkeit, all seine Anforderungen zu erfüllen, aber immer häufiger stritt sich das Paar, immer heftiger. Dann kam die große Versöhnung und tatsächlich ging es dann wieder eine Weile besser. Bis zum nächsten Knall.

Inzwischen hatte ihr Mann angefangen zu trinken. "Da war ich lieber ganz still, sonst wurde er gleich wieder aggressiv." Er gab ihr die Schuld und sagte, er müsse trinken, um sie zu ertragen. An anderen Tagen drohte er ihr, sie umzubringen, wenn sie gehe. In der Öffentlichkeit waren sie das nette Paar, "ich habe sehr lange gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Ich habe mir gesagt, wenn du dir mehr Mühe gibst, dann funktioniert es auch. So läuft es aber nicht". Nach einem besonders schweren Angriff fasst sie Mut. Sie ruft ihren Bruder an, der empfiehlt ihr, den Frauennotruf anzurufen und die Polizei. Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Interventionsstelle des Landkreises. Mit Hilfe der ILM weiß sie, was sie zu tun hat. Koffer packen, Handynummer wechseln, Konto sperren.

Klara Z. war in der ersten Zeit häufiger in der Beratungsstelle. Die Mitarbeiterinnen begleiteten sie auch vor Gericht, vermittelten Kontakte und lasen Schriftstücke gegen. Vor allem jedoch haben sie ihr Selbstbewusstsein wieder gestärkt, "das haben sie toll gemacht". Für die Hilfe der Interventionsstelle findet Klara Z. nur lobende Worte. "Man kann so viele Fehler machen, wenn man es mit einem kranken Menschen zu tun hat, aber sie wissen echt, was sie tun." Und sie glaubten ihr. Ihr Mann hatte sie wegen Verleumdung angezeigt, deshalb musste sie erst einmal beweisen, dass sie wirklich geschlagen worden war. Manchmal sei sie sich vorgekommen, als ob sie nicht das Opfer, sondern die Täterin gewesen sei, erzählt sie.

Tanja Böhm kennt diese Fälle, in denen sich die Gewaltspirale hochdreht. "Das fängt mit diffusen kleinen Gängeleien und Schubsereien an", häufig seien beide Beteiligten gleichermaßen erschreckt danach und es bessere sich wieder etwas, Böhm nennt es "liebevolle Zerknirschung" der Männer, bis zum nächsten Vorfall. Die Frauen neigten häufig dazu, sich selbst die Schuld an den Schlägen zu geben. Eine Frau habe ihr beschämt gesagt, sie koche wirklich schlecht. In solchen Fällen sagen die Beraterinnen stets, "egal was, nichts rechtfertigt die Gewalt". Wobei Gewalt auch die psychische Gewalt umfasst, Dinge, die erniedrigenden Charakter haben.

217 Fälle haben Böhm und ihre zwei Kolleginnen 2016 betreut. Im Januar kommt noch eine neue Kollegin hinzu. Die Fallzahlen steigen, sagt die Sozialpädagogin, wobei sie vermutet, dass sich mehr Frauen melden als früher. Sie kommen aus allen Schichten und unterschiedlichen Altersgruppen. Selbst eine 78-Jährige hat sich Hilfe geholt. Das geht von praktischer Hilfe im Alltag über die Vermittlung eines Platzes im Frauenhaus bis zur Traumatherapie. Seit 2016 gibt es zusätzlich Männerberatung. Dorthin schicken Böhm und ihre Kolleginnen die "veränderungsbereiten Männer". Gerade wenn Kinder betroffen sind, helfe es, zusammen mit dieser Stelle gute Lösungen zu finden. Das ist besonders wichtig, denn Studien haben ergeben, "dass das Miterleben von häuslicher Gewalt zu posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kindern führt", sagt Böhm. Diese erlebten es oft als lebensbedrohlicher als die Gewalt gegen sich selbst. Deswegen bietet die ILM auch Kindergruppen an.

Für Klara Z. ist die Sache noch nicht ausgestanden. Es geht noch um Geld und um das Gefühl, sicher leben zu können. Vermutlich wird es noch eine Weile dauern, bis sie ihren Schlussstrich ziehen kann.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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