Handel:Tante-Emma-Laden in Neuhausen schließt - nach 43 Jahren

Lesezeit: 3 min

Selbstgebackenes, Frisches vom Großmarkt und eine große Portion Herzlichkeit: An diesem Samstag machen Maria und Max Schmehl ihren kleinen Laden in der Heideckstraße für immer zu.

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Nur ein Schüsselchen Eiersalat will der Kunde, nichts weiter. Behandelt wird er mit einer Herzlichkeit, als hätte er seinen Wocheneinkauf erledigt. "Passen'S auf, gell, dass Sie sich nicht wieder den Arm brechen!", ruft ihm Maria Schmehl hinterher. Die Ladenglocke bimmelt leise, der nächste Kunde. 500 Gramm Plätzchen, "die guten mit der Marmelade". Die Marmelade muss Maria Schmehl aber erst einfüllen - "wenn'S in a Stund' noch amal kommen können?"

Die selbstgemachten Plätzchen, der Service, die Herzlichkeit, der kleine Ratsch, das Kindern zugesteckte Eiskonfekt, eine Wasabi-Nuss zum Probieren für die Erwachsenen, all das wird künftig vielen in Neuhausen fehlen. Denn an diesem Samstagmittag sperren die Schmehls ihren Lebensmittelladen an der Heideckstraße 9 für immer zu - nach 43 Jahren.

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Der Laden ist genossenschaftlich organisiert und bietet hochwertige Lebensmittel an. Bestellungen sollen auch ausgeliefert werden - mit dem Bollerwagen.

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Sie hätten die letzten Wochen lieber ganz unauffällig hinter sich gebracht und dann "unseren Kunden leise Servus gesagt". Wenn nicht letzthin ihr Sohn Robert und seine Frau als Überraschung das Schaufenster mit dieser Fotocollage, einem Rückblick auf die 43 Jahre, dekoriert hätten. So hat sich die Nachricht vom Ende schnell herumgesprochen, sind sie mit der Fassungslosigkeit ihrer Stammkunden konfrontiert und müssen viele kleine, wehmütige Abschiede durchstehen - Tag um Tag.

Ein bisschen plaudern über den Laden, der ihr Leben war? Gerne, sagt Max Schmehl, 68, wenn es nicht stört, dass er nebenbei drei Kilo Äpfel schält und klein schneidet? Denn der Apfelkuchen ist schon wieder ausverkauft, auch von der Sahnetorte, dem Zitronenkuchen, dem Schoko-Bananen-Kuchen sind nur noch wenige Stücke da.

Also nutzt seine Frau die zwei Stunden Mittagspause, um ein großes Blech Apfelstreuselkuchen nachzubacken. Und die Plätzchen nachzufüllen. Und noch schnell mit dem Radl ein paar Lebensmittel auszuliefern - sehr alte Kundinnen, die nicht mehr gut auf den Beinen sind, der Blinde in der Nachbarschaft oder auch Grippekranke bekommen ihre Waren ins Haus, und die Zeitung aus dem Laden gegenüber gleich noch dazu.

"Ich kenn's nicht anders", sagt lachend die schmale Frau, die einmal mehr von hinten nach vorne in den Laden gewieselt ist, "ich bin da reingeboren". Ihre Eltern hatten 24 Jahre in diesem Haus einen Milchladen, sie half schon als Kind mit und hat auch ihre Lehre hier gemacht. Im September 1973 hat sie mit ihrem Mann, der gelernter Werkzeugmacher ist, den Laden übernommen, vergrößert und zu einem Kolonialwarengeschäft ausgebaut. So konnten sie auch den kleinen Robert immer um sich haben, der eine schöne Kindheit in diesem Puppenstuben-Kaufladen für Erwachsene gehabt haben muss.

Der Raum ist hoch und durch die großen Bogenfenster freundlich hell, die Wände sind holzvertäfelt. "Selbstgemacht", erzählt Max Schmehl, wie auch die Regale. In den Regalen und Kühltheken ist praktisch alles aufgereiht, was ihre Kunden nachfragen. Von Obst, Gemüse und Kartoffeln in zwei großen Henkelkörbchen über Putz- und Waschmittel, Penatenpuder und Nagellackentferner, Dosenmais, Cornflakes, Semmelbrösel und Beutelreis, Milchprodukte, Süßigkeiten, Pesto Arrabiata und Pfeffermakrelenfilet bis hin zu Reiberdatschi und Schnitzeln aus Maria Schmehls Küche. Immer donnerstags gibt's warmen Leberkäs, freitags panierten Fisch.

Mehr Zeit für die Familie und zum Radeln

"Ich hätt' gerne meinen 70. Geburtstag in dreieinhalb Jahren noch hier im Laden gefeiert", gibt Maria Schmehl, "Maisy" gerufen, zu. Aber das Gebäude wird saniert, deshalb müssen die Kühlaggregate im Keller ausgebaut werden. Der Kauf neuer Kühlmaschinen ist eine Investition, die sie nicht mehr reinarbeiten können. Also ist eben jetzt Schluss. Künftig werden sie mehr Zeit für die Familie haben und zum Radeln, trösten sie sich selbst. Und Max Schmehl will all seine Fotos sortieren, die alten Dias digitalisieren.

Dass sich jüngere Nachfolger finden ließen, glaubt er nicht. Ein 15-bis 16-stündiger Arbeitstag, eine Woche Urlaub im Jahr, "und das bei diesem Verdienst - wer will denn das noch machen?" Er sagt es ganz sachlich, ohne auch nur einen Anflug von Larmoyanz in der Stimme. Sechs Tage die Woche sind die beiden früh um halb fünf aufgestanden, in die Großmarkthalle gefahren, abends nach Ladenschluss zum Großmarkt. Um halb neun sind sie endlich daheim, dann backt Maria Schmehl. Nebenbei läuft der Fernseher: "Man muss ja mit den Kunden mitdiskutieren können."

Früher, erinnert sich ihr Mann, haben sie beim Großeinkauf 25 Kollegen aus anderen Läden getroffen, "heute oft nur noch einen". Nun wird man auch sie dort nicht mehr sehen. Wieder ein Laden weniger, in dem mit den Waren auch Kummer, Freude, Neuigkeiten und Mitgefühl über die Theke gehen.

Wie sehr ihre Kunden die Wärme im Schmehlschen Laden geschätzt haben, lässt sich kurz vor der Schließung beobachten. Eine Frau bringt Blumen, eine andere kommt mit vier Kindern und der Gitarre, um ein Ständchen zu bringen. Max Schmehl muss sich abwenden, ein paar Tränen rollen. Maria Schmehl hebt ihren Zeigefinger, eine charakteristische Geste, wenn ihr etwas wichtig ist. "Können'S bitte auch schreiben, dass wir uns bei all unseren Kunden herzlich bedanken?"

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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