Haidhausen:So ein Blech

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Wegen der Trauflinie darf der Anbau an einem Herbergshäuschen nur ein statt zwei Geschosse haben. Um Platz für die Großfamilie zu schaffen, muss daher eine Instrumentenwerkstatt weichen

Von Johannes Korsche, Haidhausen

Alexander Weng weiß inzwischen genau, was eine Trauflinie ist. Vielen mag dieser Streifen wohl gar nicht auffallen, der die Hauswand und das Dach verbindet. Bei Wengs Haus an der Milchstraße ist die Trauflinie zirka 30 Zentimeter breit und aus silberfarbenem Blech. Sie hat ihn ein knappes Jahr beschäftigt, einen zweigeschossigen Anbau an seinem Haus und damit den Traum eines Mehrgenerationenhauses verhindert und ist letztlich der Grund, warum ein kleiner Handwerksbetrieb für Holzblasinstrumente aus dem Erdgeschoss des Hauses ausziehen muss. Das alles wegen dieses unscheinbaren Streifens aus Blech. Und wegen des Denkmalschutzes.

Die Wengs leben in einem der sogenannten Herbergshäuschen, die für die Viertel östlich der Isar so typisch sind. Anhand von Wengs Trauflinie lässt sich ein städtebaulicher Konflikt festmachen, der in Zeiten der zunehmenden Nachverdichtung kein Einzelfall bleiben wird: Das Alte bewahren? Oder neuen Wohnraum schaffen? Um 1814 vor der damaligen Münchner Stadtmauer erbaut, lebten, wie in so vielen Herbergshäuschen, lange Zeit vor allem Tagelöhner in dem zweigeschossigen Häuschen. Sie schlugen sich mit Gelegenheitsarbeiten in der Stadt durch. Doch weil ihnen das Stadtrecht verwehrt blieb, mussten sie abends wieder vor die Stadtmauer. "Bis zu sechs Parteien haben damals in dem Haus gewohnt", sagt Christine Weng, auf 40 Quadratmetern pro Stockwerk. Was heute als eine der attraktivsten Wohngegenden Münchens und Idyll in Innenstadtnähe gesehen wird, war damals ein sehr enges und schmutziges Viertel. Noch bis in die 1970er-Jahre galt Haidhausen als "Glasscherbenviertel". Angelockt von günstigen Mieten und der Nähe zur Innenstadt zogen insbesondere junge Menschen und Studenten in dieser Zeit nach Haidhausen. Die Stadt gründete Ende der 1970er-Jahre die "Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung" (MGS), unter anderem mit dem Ziel, Haidhausen "aufzuwerten".

Der Denkmalschutz erlaubt nur einen einstöckigen Anbau hinter dem Haus. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Herbergshäuschen waren damals größtenteils heruntergekommen. Oft waren nicht einmal mehr die Eigentumsverhältnisse klar. Bevor die Wengs ihr Haus an der Milchstraße kauften und sanierten, "haben im Erdgeschoss Obdachlose gehaust, die den Boden verheizt haben", erinnert sich Christine Weng. Der heutige Charme des Gebäudes ließ sich damals nur mit viel Fantasie erahnen. Schimmel in den Wänden, abblätternder Putz - "das Haus war in sehr schlechtem Zustand". Das war im Jahr 1999. "Die Sanierung hat insgesamt zwei Jahre gedauert", sagt Alexander Weng. Sie seien damals nur an das Haus gekommen, weil Adelheid Dietz-Will (SPD), die seit 2000 Vorsitzende des Haidhauser Bezirksausschusses ist und als Stadträtin zwölf Jahre lang im Vorstand der MGS saß, vor allem Handwerker in das Viertel holen wollte.

Alexander Weng ist Heizungsinstallateur. Ein paar Straßen weiter kaufte ein Maurer ein anderes Herbergshäuschen. Die Handwerker unterstützten sich bei der Sanierung, und langsam wurde das Haus der Wengs bewohnbar. Dabei habe man großen Wert auf den Denkmalschutz gelegt, betont das Ehepaar. Die Holztreppe, die noch aus der Zeit der Tagelöhner stammt, habe man wieder hergerichtet, die alten Kastenfenster ebenso. "Das Programm der Dietz-Will war super", sagt Christine Weng rückblickend.

Der Leidtragende: Stefan Brandl muss seine Saxofone bald woanders reparieren und verkaufen. (Foto: Stephan Rumpf)

Heute leben in dem Haus neben Alexander und Christine Weng auch die Schwiegermutter ihres Sohnes. Vor Kurzem sind die drei erneut Großeltern geworden. Die vierköpfige Familie des Sohnes wohnt derzeit in einer Zweizimmerwohnung und findet keine größere Wohnung, die sie bezahlen könnte. Damit sie in dem Herbergshäuschen unterkommen, müssen zwei zusätzliche Zimmer her. Deswegen beantragte Alexander Weng im Oktober 2015 einen zweigeschossigen Anbau, der auf der Seite des kleinen Gartens genügend Wohnraum schaffen sollte. Ein Mehrgenerationenhaus sollte entstehen - der Traum der Familie. Doch die Untere Denkmalschutzbehörde sprach sich gegen die Pläne der Wengs aus. Der Grund: "Durch die zweigeschossige Ausbildung des Anbaus wird die bis heute erlebbare und für die Gebäudetypologie wichtige Trauflinie unkenntlich gemacht", teilt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung mit. Da es sich bei dem Haus um ein Baudenkmal mit einem denkmalpflegerisch hohen Stellenwert handle, heißt es weiter, sprächen gewichtige Gründe des Denkmalschutzes dafür, den Zustand unverändert beizubehalten. Ein eingeschossiger Anbau sei "möglich", respektiere dieser doch die "Kubatur des Kleinhauses". Ein Stockwerk bedeutet ein Zimmer mehr. Doch das reicht den Wengs nicht aus, um ihr Mehrgenerationenhaus zu verwirklichen.

Und damit wird das Großelternglück der Wengs zu einem Problem für Stefan Brandl. Seitdem das Häuschen hergerichtet ist, verkauft und repariert Brandl im Erdgeschoss Holzblasinstrumente. Es ist nur ein kleiner Raum mit einer Werkbank. Weil die Wengs aber nun das Zimmer zum Wohnen brauchen, muss er raus. Wann genau, steht noch nicht fest. Er geht davon aus, dass er sich wohl im nächsten halben Jahr eine neue Werkstatt suchen muss. Bisher waren seine Miet- und Nebenkosten "nicht ganz so hoch, so dass man sich das auch leisten konnte", sagt er. Nun werde es teurer für ihn werden, ohne Frage. Zudem habe sein Geschäft sich in den vergangenen Jahren sehr gut etabliert - bis er an anderer Stelle wieder etwas aufgebaut hat, kann es dauern.

Familie Weng (mit Enkel) braucht die Werkstatt als Wohnraum, weil sie nur ein, nicht zwei Zimmer anbauen darf ans Herbergshäuschen. (Foto: Stephan Rumpf)

Während Brandl hinaus auf die Milchstraße blickt, lässt er die Jahre Revue passieren, die er in der circa 15 Quadratmeter großen Werkstatt verbracht hat. Das Viertel sei in den vergangenen 20 Jahren enorm aufgewertet worden. "Nennen wir das mal so: ,aufgewertet'". Aufgefallen ist ihm, dass immer mehr Ladenflächen von Handwerkern verloren gingen. "Sehen Sie sich mal um; nur noch Schmuckläden, Boutiquen, Nagelstudios oder Büros." Wie es weitergeht, weiß er noch nicht. Er weiß nur, dass er gerne im Viertel bleiben würde. Als einer der wenigen verbliebenen Handwerker in Haidhausen.

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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