Haidhausen:Im Spiegelkabinett

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In der Ausstellung "Two Ways" im Gasteig zeigt der Fotograf und Lichtkünstler Peter Euser New York als janusköpfige Stadt. Seine Trugbilder vom Ground Zero des Kapitalismus sind verstörend und entlarvend gleichermaßen

Von Jutta Czeguhn, Haidhausen

Sie hält der Welt den Spiegel vor, diese Stadt. In den Glasfassaden von New York entdeckt man Schönheit und Hässlichkeit, Armut und obszönen Reichtum, Vitalität und Vernichtung. Das provozierendste Symbol dieser Lust an der Ambivalenz, die Twin Towers, ist verschwunden und lebt doch als Leerstelle unausrottbar weiter. Auch in der Skyline, die der Münchner Fotograf und Lichtkünstler Peter Euser auf 2,40 Metern Breite aufklappt, hat das alte World Trade Center seinen imaginären Platz. Die Freiheitsstatue als Wahrzeichen New Yorks ist hingegen an den äußersten linken Bildrand gedrängt. Lady Liberty ist nur noch ein Relikt. "Two Ways" nennt Euser seine Schau im Gasteig. Er zeigt Trugbilder einer Stadt, die er liebt und hasst gleichermaßen.

Für Fotograf Peter Euser ist der Strand von Coney Island ein Ort der Ruhe in der erschöpfenden Hektik New Yorks. (Foto: Peter Euser)

Als Fotograf hat sich Euser New York intensiv erschlossen. Zum ersten Mal war er in den Siebzigerjahren dort, später dann als Praktikant während seines Architekturstudiums. Zwei seiner vier Kinder lebten eine Zeit lang in der Stadt. Die meisten Motive der "Two Ways"-Bildstrecke aber sind in der Zeit zwischen 9/11 und dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers entstanden. "Dieses Unbehagen, das in der Luft lag, musste ich irgendwie verarbeiten", sagt der 62-Jährige. Dass sich dadurch ein kathartischer Effekt bei ihm eingestellt hätte, kann er allerdings nicht feststellen. Und auch in der Welt da draußen wirkten die Erschütterungen von damals nach. Das bekomme man heute mehr denn je vor Augen geführt, sagt Euser. Er sieht keinen besonderen Grund, an die menschliche Lernfähigkeit zu glauben. Nein, Peter Euser ist da kein Optimist.

In New York spielen die Banken wie Lehman Brothers Casino-Kapitalismus. (Foto: Peter Euser)

Die meisten seiner Fotomontagen, die in Leuchtkästen präsentiert werden, sind entweder entlang einer horizontalen oder vertikalen Achse gespiegelt. Durch diese Klapptechnik sucht das Auge automatisch nach dem Bild-Zentrum, einer Art "Ground Zero". Von dort schwenkt es aus, um die beiden Hälften zu vergleichen. Doch die Symmetrie ist nur eine scheinbare. Euser nimmt kleine Eingriffe vor, optische und semantische Manipulationen. Den einst protzig funkelnden Firmen-Schriftzug an der Zentrale der Lehman Brothers kontert Euser spiegelbildlich mit der trockenen Feststellung "Shit happens". An die Fassade eines Musikgeschäfts in der Upper East Side setzt er eine Achse der Bösen: Aus den hell erleuchteten Fenstern blickt das gesamte Schreckenskabinett der damaligen Weltenlenker, von Putin über Bush bis zu Irans Ahmadinedschad. Sie sind die "Illuminati", sagt die Leuchtschrift, und als der Erleuchtetste thront über allem: seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. Auch der Times Square, wo die Grenzen zwischen kommerziellem und öffentlichem Raum verwischen, provoziert Eusers Kommentar. Aus der Bierwerbung für "Budweiser" wird im Spiegel ein "Bush sucks" (höflich übersetzt: "Bush nervt").

Der VW-Konzern spielt ebenso Casino-Kapitalismus. (Foto: Peter Euser)

Bei seinen Aufenthalten in New York kommt für Peter Euser immer irgendwann der Moment, da ihn diese vertikale, laute Stadt erschöpft. Die Seele braucht dann die ruhige Weite des Horizonts. Gefunden hat er sie etwa beim Kameraschwenk vom Dach des Metropolitan Museums über die grünen Wipfel des Central Parks hinüber auf die Silhouette der Upper West Side. Oder an der Promenade von Coney Island unten in Brooklyn, wo das poetischste Spiegelbild dieser Ausstellung entstanden ist. Der Strand ist menschenleer, bis auf ein Paar, das dort Arm in Arm spazieren geht. Auch aus einiger Entfernung ist zu erkennen, der Mann trägt die Kleidung streng orthodoxer Juden aus Osteuropa, die in Brooklyn zu Hause sind. Peter Euser erinnert sich an eine seiner ersten Reisen nach New York. Damals hat er die Unterhaltung zweier alter Frauen in der U-Bahn belauscht. "Ich habe sie verstanden, und trotzdem war es eine fremde Sprache - Jiddisch, wie mir später klar wurde", erzählt er. Das Paar nun am Strand von Coney Island mit dem Schiff im Hintergrund habe ihn gerührt. "Die Hafeneinfahrt von New York war für viele jüdische Holocaust-Flüchtlinge einst das Tor zum Überleben". Doch wie viele von ihnen haben es nicht geschafft? Wurden in den Lagern Europas ermordet oder wurden, das rettende Ufer schon in Reichweite, zurückgeschickt. An sie will Peter Euser erinnern, wenn er in der rechten Bildhälfte nur noch eine geisterhafte Lichtsilhouette des gleichen Paares zeigt. "Gebt mir eure Müden, eure Armen, Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren. Die bemitleidenswerten Abgelehnten eurer gedrängten Küsten . . . ", heißt es auf der Sockelinschrift der Freiheitsstatue. Eine Verheißung, die New York nun zum neuen Fluchtpunkt, ins alte Europa hinüberspiegelt.

Peter Euser, "Two Ways", bis 21. Januar, Gasteig, Foyer beim Kleinen Konzertsaal.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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