Haidhausen:Der Schöne und das Stiefkind

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Der Weißenburger Platz mit seinem französischen Flair ist den Haidhausern lieb, am Pariser Platz mag sich kaum jemand aufhalten. Dabei bräuchte es nicht viel, um ihn aufzuhübschen: ein bisschen Kunst, ein bisschen mehr Grün

Von Stephanie Beutel, Haidhausen

Wenn die Sonne scheint, tummeln sich Alt und Jung auf dem Weißenburger Platz. So in etwa beschreibt fast jeder Münchner Stadtführer den Platz in Haidhausen. PR-Spruch, ja klar, aber er stimmt halt, und das nicht nur bei Sonne. Auch im strömenden Regen sieht man dort immer wieder junge Leute, mit Kopfhörer und Longboard, rauchend.

Es ist später Frühling, Sonnenstrahlen tauchen den kreisrund angelegten Platz in warmes Licht. Die Münchner haben noch Jacken an, aber die ersten Nasen tragen bereits Sonnenbrillen. Auf einer der Parkbänke telefoniert eine Frau, auf einer anderen liest ein Mann Zeitung. Nur 300 Meter weiter zeigt der Pariser Platz ein völlig anderes Bild: Um ihn herum lärmt der Verkehr. Auf dem Platz selbst: gähnende Leere. Lediglich zwei ältere Herren sitzen auf einer Parkbank und trinken Bier. Passanten huschen rasch über den Platz; vorbei an einer offenen Telefonzelle, drei Blumenkübeln und einem verwaisten Kiosk. Die Läden des Häuschens sind verschlossen, die Fassade dreckig. "Zu vermieten" steht auf einem Zettel, seit vielen Monaten schon. Im vergangenen Jahr wollte der Betreiber, Ferdinand Maresi, das Häuschen noch umbauen, wie er damals mitteilte. "Die Umsätze sind zu schlecht", sagte Maresi. Jetzt versucht er, die wenig schmucke Hütte loszuwerden. Was schwierig werden könnte, denn der Kiosk befindet sich in einem maroden Zustand. Wie der Pariser Platz an sich, lamentiert Johann Baier.

Er wohnt seit 1966 im Viertel, ist Vorsitzender des Vereins "Freunde Haidhausens". Der Weißenburger Platz ist ihm lieb, den Pariser Platz hält er für "greißlich". Es gebe dort zwar Bäume, aber keine echte Grünzone, sagt er. Zumindest einige Büsche sollten hin, schlägt Baier vor - schon um den Lärm der Autos abzuschotten. "Es ist schade, dass sich die Plätze so unterschiedlich entwickelt haben", bedauert Baier, "obwohl sie doch eine gemeinsame Entstehungsgeschichte haben".

Im Franzosenviertel liegt der Pariser Platz. (Foto: Florian Peljak)

Beide Plätze liegen mitten im Haidhauser Franzosenviertel: Vom Orleansplatz vor dem Ostbahnhof kommend, betritt man zunächst den Pariser, ein paar Minuten Fußweg später den Weißenburger Platz. Das Quartier nördlich der Rosenheimer Straße hat der Architekt und Münchner Baubeamte Arnold von Zenetti 1872 angelegt. Vorbild dafür waren Städte in Frankreich. Der Begriff "Franzosenviertel" kommt auch daher. Als alteingesessener Haidhauser und Stadtführer kennt Johann Baier jeden Pflasterstein im Viertel. Kopien alter Karten und Bilder sammelt er in Ordnern, die er auf seinen Führungen vorzeigt. "Der Weißenburger Platz hieß früher Wörthplatz, erst 1897 wurde er umbenannt", erzählt er. Und deutet mit seinem Finger auf eine Karte; in einem Kreis steht "Wörthplatz". Er blättert mehrere Seiten weiter. Ein fünfstufiger Brunnen ist vor dem Münchner Ostbahnhof zu erkennen. Es ist derselbe, der sich heute auf dem Weißenburger Platz befindet.

Die weiß leuchtende Brunnenanlage hat der Architekt August von Voit im Jahr 1853 für den Glaspalast am Alten Botanischen Garten angefertigt. Als der Palast niederbrannte, wurde der Brunnen zum Schmuckstück des Ostbahnhofs. Mit dem Bau des S-Bahn-Netzes zu den Olympischen Sommerspielen 1972 musste er jedoch am Orleansplatz weichen. Seitdem ist der Brunnen aus Naturstein und Gusseisen der Treffpunkt schlechthin in Haidhausen: Tagsüber planschen dort Kinder, zur Sommerzeit ist er nachts beleuchtet und zieht viele Pärchen an, im Winter umringen Weihnachtsmarkt-Buden den Brunnen.

Auch der Kiosk, der seit Monaten geschlossen ist, trägt sein Scherflein bei zur Tristesse. (Foto: Stefan Rumpf)

Auch Rudolf Robert, Betreiber des Blumenladens an der Metzstraße, macht sich Gedanken um die Plätze, manchmal sind die sogar Gesprächsstoff in seinem Geschäft. "Haidhausen gilt doch als Künstlerviertel", sagt er, "warum beauftragt die Stadt nicht einfach Künstler mit einer Licht- oder Brunneninstallation?" Einer Kundin, selbst Haidhauserin, gefällt die Idee auf Anhieb. "Der Pariser Platz kommt neben dem schönen Weißenburger Platz sehr stiefkindlich daher", sagt sie, gerade da müsse "endlich etwas passieren".

Sogar im Internet ist das Problem angekommen. Auf einem Empfehlungsportal für Sehenswürdigkeiten verspotten Nutzer den Pariser Platz als "schmuddelig", als "hässlichsten Platz Haidhausens" und kritisieren das fehlende Flair - "wie eine Schultoilette". Zeit für Veränderungen - auch wenn das städtische Baureferat das anders sieht. Maßnahmen, heißt es lapidar, seien nicht vorgesehen. Auf SZ-Anfrage verweist die Behörde auf eine frühere Pilotstudie. Die hat untersucht, welche Münchner Straßen und Plätze verändert werden müssen. Dabei unterscheidet die Studie fünf Kategorien - von eins, Orten, die sehr dringend verbessert werden müssen, bis hin zu sechs, Orten, die nicht aufgehübscht zu werden brauchen. Der Pariser Platz befindet sich in Kategorie fünf: Orte, die mit einfachen Mitteln optimiert werden können. Deshalb wurden in den vergangenen Jahren Pflanzgefäße und Bänke aufgestellt, die umlaufenden Fahrbahnen wurde saniert und so die Barrierefreiheit verbessert.

Brunnen, Beete, Bänke: Am Weißenburger Platz legen die Menschen gerne eine genüssliche Pause ein. (Foto: Florian Peljak)

Das sei nicht genug, sagen unisono Rudolf Robert und Johann Baier. Kunst, findet Robert, solle auf den Pariser Platz, mehr Grün wünscht sich Baier. Zwei Grundprobleme aber wird das nicht beheben. So ist der Weißenburger Platz einfach ein ordentliches Stück größer und hat damit auch den nötigen Platz für die grünen Taschen mit ruhigen Sitzecken, die viele am hektischen Pariser Platz so vermissen. Und er hat eine Fußgängerzone als Hinterland. Wer sich vom S-Bahnhof Rosenheimer Platz via Weißenburger Straße her in Richtung Platzmitte aufmacht, kann dies tun, ohne einem einzigen Auto zu begegnen. Um den Pariser Platz zu erreichen, muss man bei lebhaftem Verkehr echte Sprinterqualitäten haben. Das wird sich auch nicht verändern lassen, mag der Pariser Platz einen noch so verheißungsvollen Namen haben.

© SZ vom 01.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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