Haidhausen:Der innere Raum

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Wo fängt das Drinnen an, wo hört das Draußen auf? Regina Baierl hat es sich in ihrem Studiolo bequem gemacht. (Foto: Florian Peljak)

Mit ihrem Studiolo erweitert die Architektin Regina Baierl das Üblacker-Häusl und die Wahrnehmung um eine Dimension

Von Franziska Gerlach, Haidhausen

Ruhig und ohne Eile solle man ihr sogenanntes privates Gehäuse betreten, empfiehlt Regina Baierl. Also öffnet man langsam die Tür des ausgebauten weißen Schrankes, den die Architektin und Künstlerin im Ausstellungsraum des Üblacker-Häusls in Haidhausen aufgestellt hat, klettert mit eingezogenem Kopf hinein, ruckelt den Hintern auf dem mit Fell überzogenen Stuhl zurecht, schließt die Tür. Und wartet. Darauf, dass etwas passiert. Dass man den Raum fühlt.

"Studioli. Private Gehäuse" ist Baierls Installation überschrieben, die noch bis zum 12. November im Üblacker-Häusl zu sehen ist. Die 50 Jahre alte Münchnerin, die in ihrem "laboratory of space and architecture" Räume erforscht, hat in dem Ausstellungsraum des Ende des 18. Jahrhunderts errichteten Herbergshauses an der Preysingstraße aber nicht nur zwei dieser Studioli aufgestellt. So hießen in der Renaissance winzige, innen oftmals kunstvoll verzierte Räume, die dem Studium der schönen Künste dienten. Baierl, Kurzhaarfrisur und wache Augen, hat gleich den ganzen Ausstellungsraum des Üblacker-Häusls in einen "Salon" verwandelt.

Einen Teppich in warmem Rottönen hat sie dort ausgerollt, der Schein gedimmten Lichts erfüllt den Raum, dazu zwei niedrige Tischchen. Auf einem liegt ein abgegriffenes Fotoalbum mit schwarz-weißen Bildern, auf dem anderen steht eine Karaffe und ein Glas, denn neben den Studioli hat Baierl auch einen "imaginären Bewohner" ins Üblacker-Häusl einziehen lassen. Deshalb also der Spiegel und der Schirm. Und hing da direkt am Eingang nicht ein Klassenfoto, mit Schülern im Schick der Achtzigerjahre? Man mag sich nun einen attraktiven Schwabinger mit Hornbrille und Kaschmirpulli über den Schultern herbeidenken, der sich abends gerne ein Gläschen Sherry genehmigt, oder einen Giesinger Antiquitätenhändler, auf jeden Fall ein Münchner mit intellektueller Ader. Regina Baierl würde es wohl gefallen, dass ihre Arbeit derartige Gedanken in Gang setzt. Sie selbst hatte keine konkrete Person vor Augen, als sie sich des hinteren Raumes des Üblacker-Häusls, der früher einmal ein Ziegenstall war, annahm. "Es ist eher eine Aura, etwas, das dazugehört," sagt Baierl.

Die Gegenstände ihrer Installationen sind privat, es sind aber nicht ihre eigenen, sondern Dinge, die sie etwa bei Haushaltsauflösungen ersteht. Überhaupt liegt es der Künstlerin fern, einem Raum ihren Geschmack aufzunötigen. Veränderung auf Teufel komm raus behagt ihr nicht, sie fügt sich lieber in ihr Umfeld ein. Etwas wundern muss man sich, dass sie und das Üblacker-Häusl bislang noch nicht zusammen gefunden haben. Denn Baierl, die in Kaiserslautern Architektur studiert hat, beschäftigt sich in ihrer experimentellen Forschung seit vielen Jahren mit Räumen, die auf ein Minimum reduziert sind. Ihre Studioli hat sie in München bereits im "Klohäuschen" an der Großmarkthalle und im "Sandkasten" in der Maxvorstadt ausgestellt, einer ehemaligen Pförtnerlounge mit Glasfront. Und nun also das Üblacker-Häusl, das auch nicht gerade groß ist und außerdem immer so wirkt, als verneige es sich vor den herrschaftlichen Haidhauser Gründerbauten.

Allerdings geht es Baierl nicht um die Lösung des Wohnraumproblems, dieses brennende Münchner Thema, da darf man sie nicht falsch verstehen. "Ich propagiere nicht Wohnen auf kleinem Raum", sagt sie. Ihr Interesse gilt der Erforschung von Raum, und ihre Forschungsobjekte sind eben Schränke, die ihrem Wesen nach auch etwas Raumhaftes haben, aber erst durch das Setzen einer Öffnung, wenn man durch eine Scheibe hinein- und hinausschauen kann, werden sie zu einem Terrain, das sich zum Studium eignet. Anders als bei den Studioli der Renaissance geht es bei Baierl weniger um die Lektüre von Büchern. Es gilt, den Raum selbst zu beobachten. Nicht auf voyeuristische Weise, sondern sinnlich, analytisch. Wie fühlt es sich an, in einem "Raum im Raum" zu sein, wo fängt das Drinnen an, wo hört das Draußen auf? Lässt sie sich am Ende sogar überwinden, diese Grenze zwischen dem Innen und dem Außen? Eine Annäherung an Baierls Arbeit kann durchaus philosophische Qualitäten erreichen. Wie der Selbstversuch zeigt, tut es bei einem ersten Besuch von Baierls privaten Gehäusen aber auch diese Frage: Was macht dieser Raum mit mir?

"Ich lass' Sie jetzt mal ein bisschen allein", hatte Baierl eben noch gesagt. Die Tür ist zu. Man blickt sich um in dem weißen Studiolo. Oh, dort oben hängt ja ein Bild von einem Reh, und ein Buch gibt es auch, Igor Strawinsky, Musikalische Poetik. Während das Fell auf dem Stuhl einem den Rücken wärmt, breitet langsam die Behaglichkeit ihre starken Arme aus. Die Welt da draußen ist vergessen, der Raum beginnt zu wirken. Es vergeht eine Minute, eine zweite, verdammt gut fühlt sich das an. Und als die dritte anbricht, ist man schließlich dort, wo Baierl einen haben möchte: bei sich.

Regina Baierl, "Studioli. Private Gehäuse", Üblacker-Häusl, Preysingstraße 58, bis 12. November, Mittwoch/Donnerstag, 17 bis 19 Uhr, Freitag/Sonntag, 10 bis 12 Uhr.

© SZ vom 27.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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