Haidhausen:"Darf's ein bisschen mehr sein. . ."

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"Wir werden in Bewegung bleiben": Gabriele Pichler verabschiedet sich. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Für viele Haidhauser hätte es vor allem etwas länger sein dürfen: Am Karsamstag schließt die Metzgerei Wittmann, 1881 gegründet und die älteste der Stadt, die Türen. Erinnerungen und ein schwerer Abschied

Von Ulrike Steinbacher, Haidhausen

Der Karsamstag wird für Gabriele Pichler beginnen wie alle Karsamstage seit 46 Jahren: mit sehr viel Arbeit. Aber enden wird er mit einer Zäsur. Wenn sie hinter der letzten Kundschaft die Ladentür zusperrt, dann schließt die 60-Jährige zugleich mit ihrem Berufsleben ab. Und das wiederum wird auch eine Zäsur für viele Haidhauser sein. Denn Gabriele Pichler, geborene Wittmann, und ihr Mann Franz, 65, betreiben in vierter Generation eine Institution im Stadtviertel - die Metzgerei Wittmann an der Inneren Wiener Straße 54. Karl Wittmann, Pichlers Urgroßvater, hatte das Gewerbe 1881 angemeldet. Nach Recherchen der Münchner Handwerkskammer zu einem Betriebsjubiläum vor 15 Jahren ist die Metzgerei die älteste der Stadt.

Einen guten Ruf hat sie auch. Bei den Kunden natürlich sowieso, die sich gerade scharenweise von Gabriele Pichler verabschieden. Aber auch in der Fachwelt, davon zeugen die Urkunden an den Wänden und in den Schaufenstern. Der Feinschmecker wählte die Metzgerei Wittmann vor Jahren unter die 500 besten in Deutschland. Der Betrieb heimste Auszeichnungen ein für Weißwürste, Bratwürste, Grillwürste und vieles mehr. "Präsentation, vorzüglicher Duft und hervorragender Geschmack" werden da gelobt. Und Franz Pichlers Kaminwurzen sind im Viertel legendär.

Dennoch war schon frühzeitig klar, dass es mit der Nachfolge schwierig werden würde. Einen Familienbetrieb führt man nicht nebenbei, da steckt Herzblut drin und unendlich viel Arbeit. Arbeitstage von sechs bis 20 Uhr waren normal, erzählt Gabriele Pichler. Vor Feiertagen wie Weihnachten habe sie schon morgens um zwei oder drei im Laden angefangen, sonst wären die Bestellungen nicht zu schaffen gewesen. Und an Silvester sei es nach dem nachmittäglichen Ladenschluss dann in der Regel bis 18 Uhr gegangen - es waren ja noch die vielen kalten Platten herzurichten.

Die beiden Töchter halfen zwar immer fleißig mit, wollten den Betrieb aber nicht übernehmen. Gabriele Pichler hat Verständnis: Die viele Arbeit, da brauche man den entsprechenden Partner. Und nicht jeder könne so viel Glück haben wie sie selbst und "einen gescheiten Metzger finden" zum Heiraten. Ihr selbst hat der Laden sehr viel Spaß gemacht, trotz aller Arbeit. "Wir haben so viele nette Kunden", sagt sie und bekommt ganz feuchte Augen.

Der Kundenstamm spiegelt auch wider, was sich in Haidhausen so verändert hat im Lauf der Jahrzehnte - gesellschaftlicher Wandel an der Ladentheke sozusagen. Als Gabriele Pichler angefangen hat, waren die meisten Frauen noch nicht berufstätig, kümmerten sich um Haushalt und Kinder. Da sei zweimal am Tag daheim gekocht worden, erzählt Pichler, für die Kinder womöglich noch ein Extra-Essen. Doch für einen solchen Küchen-Marathon seien die Frauen heute viel zu sehr im Stress zwischen Beruf, Wäsche und Wohnung - und das zeige sich dann auch am Einkaufszettel. Stattdessen würden jetzt aber viel mehr Männer in den Laden kommen: "Man merkt, die Männer haben Zeit. Die kaufen so mit Genuss, für die ist Kochen ein schönes Hobby."

Noch können Hobbyköche und Hausfrauen in der Metzgerei Wittmann Enten und Poularden für Ostern vorbestellen, aber am Karsamstag wird zum letzten Mal verkauft, und am Dienstag kommt schon der Schuttcontainer. Eine Metzgerei wird nicht mehr einziehen in den Laden zwischen Wiener und Max-Weber-Platz. Neuer Mieter dort soll ein Trachtenmodengeschäft werden. Die Fleisch- und Wurstproduktion an der Preysingstraße läuft ein bisschen langsamer aus; dort soll in ein, zwei Monaten Schluss sein.

Auf die Frage, was sie in Zukunft machen werde, antwortet Gabriele Pichler mit einem Seufzer: "Ein normales Leben führen." Aber so ganz geheuer ist ihr die Vorstellung nicht, dass sie bald viel mehr Zeit hat - für die drei Enkel, für Sport und das Wandern in den Bergen. Die Metzgerei aufzugeben war eine Vernunft-Entscheidung, das ist ihr anzumerken: "Man spürt halt, es wird viel, wenn man älter wird." Und dass man es schätzen müsse, "wenn man noch gesund ist und aufhören kann", statt von einer Krankheit dazu gezwungen zu werden.

Um die neue Freizeit gleich sinnvoll zu nutzen, haben die Pichlers den Anfang ihres Ruhestands extra auf den Frühling gelegt: "Wir werden in Bewegung bleiben." Es klingt, als gäben sie sich selbst ein Versprechen.

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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