Gräfelfing:Wandererin zwischen den Welten

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Die Ethnologin und Indienexpertin Hilde Link und ihr Einsatz für die Menschenrechte

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Von Gräfelfing bis Indien sind es gut 10 000 Kilometer. Als Hilde Link die Strecke zum ersten Mal 1971 zurücklegte, war sie 20 Jahre alt und stieg in einen 2CV, das Kultauto der Hippiebewegung. Hilde Link ist oft zurückgekehrt - nicht mehr als "Hippimädel" wie damals, sondern als Ethnologin, die den Subkontinent erforscht. Insgesamt kommt die heute 64-Jährige auf zwölf Jahre, die sie in Indien verbracht hat. Die Spiritualität, die im Alltag gegenwärtig ist, zieht sie bis heute an. Inzwischen hat ihre Rückkehr auch andere Gründe: Menschenrechte und die Betroffenheit darüber, dass sie manchen vorenthalten werden. Gerade hat sie ein Buch veröffentlicht, in das 20 Jahre Forschungsarbeit eingeflossen sind. Auch wenn es darin um Indien geht - so weit weg ist das Thema von Gräfelfing nicht.

"Mannfrau" ist der Titel ihrer ersten Forschungsarbeit, die sie als Roman verfasst hat (Draupadi Verlag). Darin geht es um Menschen, die keinem Geschlecht eindeutig zuzuordnen sind. Man bezeichnet sie als intersexuell. In Indien sind sie Außenseiter der Gesellschaft. Link hat in den letzten 20 Jahren viele von ihnen getroffen. All diese Einzelschicksale sind in eine Geschichte eingeflossen, jene der Romanfiguren Gita und Niveda. Auch bei uns im Würmtal ist das Thema relevant, meint Link. Auch in unserer Gesellschaft lebten intergeschlechtliche Menschen versteckt. Laut Statistik müsste in Gräfelfing jeder achte Einwohner intergeschlechtlich sein, rechnet Link vor, die eine Honorarprofessur an der Pondicherry University in Südindien hat und als Ethnologin mit dem Institut für Indologie und Tamilistik der Uni Köln zusammenarbeitet. Mit dem Buch möchte sie ein Bewusstsein für diese Menschen schaffen - hier wie dort.

Es sind zwei Welten, die Hilde Link in ihrem Leben verknüpft - Gräfelfing und Indien. Mal ganz abgesehen von anderen Orten wie Mauritius und Kambodscha, an die sie andere Forschungsarbeiten auch schon verschlagen haben. Aber Indien bleibt eine Konstante. Es ist die Betroffenheit über viel Gewalt und verletzte Menschenrechte, die sie immer wieder aufbrechen lassen. Gräfelfing, stellvertretend für die westliche Welt, bietet die Voraussetzung dafür: Hier hat sie seit 1969 ihre Basis, ihre vier Kinder sind hier aufgewachsen, hier hat sie studiert, promoviert, kann auf Kontakte und finanzielle Mittel zurückgreifen, um woanders etwas zu bewegen. So wie mit dem Prana-Projekt.

Link ist 2004 mit ihrem Ehemann bei einem ihrer Indienaufenthalte in einem Fischerdorf bei Pondicherry nur knapp der Tsunami-Katastrophe entgangen. Zum Dank für ihr Schicksal gründete das Paar das Prana-Projekt, eine Spendeninitiative, durch die in dem zerstörten Dorf eine Schule für 130 Kinder gegründet werden konnte. Inzwischen ist die Schule eine Art Dach geworden, unter dem Link mit weiteren Projekten für Menschenrechte Benachteiligter kämpft. 2010 ist das Prana-Projekt (www.linkhilfe.de) mit dem Cusanus-Preis ausgezeichnet worden, weil hier "Politik im Kleinen" betrieben werde, zitiert Link aus der Würdigung.

Bürokratie und sonstige Machenschaften stehen ihr bei dieser Arbeit oft im Weg. Nach Gräfelfing zu kommen sei dann "die Rückkehr ins Paradies". Hier gibt es ein geregeltes öffentliches Leben, eine unabhängige Justiz und volle Regale im Biomarkt. Hier kann sie Kraft tanken für den Kampf um Menschenrechte in 10 000 Kilometern Entfernung.

© SZ vom 07.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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