Gräfelfing:Säen, pflegen, ernten

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Entdecken und gärtnern: Die vierte Klasse der Grundschule in der Werdenfelsstraße hat die Natur auf vielfache Weise erkundet und außerdem reichlich Kürbisse geerntet. (Foto: Catherina Hess)

Auf dem Gräfelfinger Seidlhof erfahren Münchner Grundschulkinder praktische Umweltbildung. Ökologische Lehrmeister sind die Natur und das Vermächtnis einer "alten Dame"

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Die eigene Ernte einzufahren, ist doch die größte Freude. Schüler der Werdenfels-Grundschule in Sendling haben jetzt die Kürbisse auf dem Acker des Gräfelfinger Seidlhofs geerntet, die sie im Frühjahr selbst als Samen gesät hatten. So muss es sich Elisabeth Seidl, einst Inhaberin des Hofes und Gründerin der Seidlhof-Stiftung, gewünscht haben. Im September jährte sich ihr Todestag zum zehnten Mal, und an der Umweltbildung, einer der Stiftungsaufgaben, nehmen bis heute an die 1800 Münchner Grundschüler im Jahr teil.

Der Sommer verabschiedet sich wehmütig auf dem Seidlhof Ende September. Im duftenden Kräutergarten verfärben sich an Agastache und römischer Kamille die Blätter braun, die Äpfel auf der Streuobstwiese fallen ins Gras. Ganz hinten, auf dem Acker, leuchten orangerot die Kürbisse, 60 bis 70 Stück. Die Schüler haben die Samen in kleinen Töpfchen im April ausgesät. Die Jungpflanzen haben sie Mitte Mai in die Erde gesetzt. Jetzt ist Erntezeit - einen Kürbis darf jeder Schüler mit nach Hause nehmen, aus dem Rest wird Suppe für alle gekocht. Auch Kartoffeln sind zu ernten, aus den Äpfeln wird Saft gemacht.

Dass all diese Produkte aus der Natur stammen und nicht aus dem Regal im Supermarkt, ist für viele Kinder gar nicht selbstverständlich und Teil der Umweltbildung auf dem Hof. Die Schüler kommen mehrmals im Jahr und lernen die Kreisläufe der Jahreszeiten kennen - säen, pflegen, ernten. Das gemeinsame Essen gehört dazu, erklären Betriebsleiter Marco Zehner und Mitarbeiterin Karoline Brunner.

Der Seidlhof, 1915 vom Hutfabrikanten Anton Seidl gegründet, um seine Familie im Ersten Weltkrieg zu ernähren, ist ein Kleinod: mitten in der Gräfelfinger Villengegend gelegen, ist er "eine Oase der biologischen Ruhe", sagt Eberhart Reichert, Stiftungsvorstand und Altbürgermeister von Gräfelfing. Die "Vision der alten Dame" lebe heute zu über 90 Prozent fort. Ganze 100 sind es nicht, das liegt an den wenigen Maschinen, die angeschafft wurden, um den Hofbetrieb aufrechtzuerhalten und die Mitarbeiter zu schonen. "Bei Elisabeth Seidl war Maschineneinsatz verpönt", erklärt Reichert. Alles musste von Hand gemacht werden. Vor vielen Jahren gab es geradezu einen Eklat, als Marco Zehner einen Traktor anschaffte, erinnert dieser sich. Bei einem ruhigen Gespräch auf einer Bank soll die Dame die Notwendigkeit dann eingesehen haben. Neben der Umweltbildung soll auf dem Hof auch der ökologische Land- und Gartenbau gefördert werden. So werden hier Kurse zum Umgang mit einer Obstbaumwiese abgehalten, es gibt einen Bienen-Workshop im Frühjahr für das Einsteigen in die Imkerei, oder das Wurzelwachstum von Bäumen wird wissenschaftlich untersucht.

Der Seidlhof wird weiterleben - es gibt genug neue Ideen: In der nächsten Saison soll das Projekt "2000 Quadratmeter" voll erblühen. Laut Statistik kommen auf jeden Menschen auf der Welt 2000 Quadratmeter der verfügbaren Ackerfläche, erklärt Zehner. Auf dem Seidlhof wird auf einer abgemessenen Fläche alles angebaut, was ein Mensch im Jahresverlauf für eine ausgewogene Ernährung braucht: von Weizen und Hafer über Saaten bis zu Beeren. Und noch ein Projekt für die Zukunft steht an: Zehner und Brunner wollen eine richtige Schulküche einrichten - mit ausgefallenen Geräten, damit die Kinder aus dem geernteten Getreide Haferflocken quetschen und Öl aus Saaten pressen können. Und wie nach jedem Seidlhoftag werden sie am Nachmittag laut Brunner dann "dreckig, aber glücklich" nach Hause gehen.

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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