Gräfelfing:Ahmads Chance

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Gute Zusammenarbeit: Praktikant Ahmad Mrehel und Geselle Ayas Nadim haben sich auf Anhieb verstanden. Sie könnten Kollegen werden. (Foto: Maler Romanow)

Die Gräfelfinger Unternehmerin Ute Zima bringt Flüchtlinge mit Firmen und Handwerksbetrieben zusammen. "In der Turnhalle schlummert viel Potenzial", sagt sie. Und die Chefs haben Bedarf

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Vielleicht war der Fassadenanstrich der erste Schritt für den 21 Jahre alten Ahmad, beruflich in Deutschland Fuß zu fassen. Der Flüchtling aus Syrien wohnt zur Zeit in der Turnhalle des Gräfelfinger Sportvereins und hat im November ein Praktikum in der Malerwerkstätte Romanow in Gräfelfing gemacht. Täglich um 6.30 Uhr haben ihn die beiden Gesellen der Firma abgeholt und ihn dann mit auf die Baustelle genommen. Abdeckarbeiten, Fassadenanstrich und Lackieren standen auf dem Plan. Die Woche lief gut. Wenn das Malergeschäft im Frühjahr wieder Saison hat, kann der junge Syrer ein weiteres Praktikum machen und im Sommer sogar eine Ausbildung beginnen, das hat ihm Malermeister Andreas Romanow in Aussicht gestellt.

Das Praktikum war einer von etwa 20 Schnupperbesuchen in Firmen, die die Gräfelfinger Unternehmerin Ute Zima unter dem Motto "Kulturelles Orientierungspraktikum" für die Flüchtlinge in der Turnhalle organisiert hat. Zima hat dafür ihr Netzwerk genutzt: Sie ist ehrenamtlich aktiv im Helferkreis Asyl und hat viel Kontakt zu den Flüchtlingen. Gleichzeitig ist sie auch im Vorstand des Unternehmerverbands und kennt die Gräfelfinger Arbeitgeber. Viele Projekte und Ideen, Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, setzten gute Sprachkenntnisse voraus, sagt Zima. Sie will bewusst früh, ganz an der Basis, ansetzen: "Beide Seiten sollen sich kennenlernen und erfahren: Worauf lasse ich mich ein, was kommt auf mich zu?" Es gehe darum, kulturelle Gepflogenheiten zu erleben: wie Busfahren funktioniert, was Pünktlichkeit bedeutet, dass auch eine Frau Chef sein kann. Im Handwerksgewerbe und in der Pflege sind die Arbeitgeber ohnehin an einen multikulturellen Mitarbeiterstamm gewöhnt. Meist findet sich ein Kollege, der vermitteln kann. Wie beim Maler Romanow, der einen ehemaligen Flüchtling aus dem Irak als Gesellen beschäftigt. Er hat für Ahmad übersetzt.

In der Turnhalle schlummert viel Potenzial, weiß Ute Zima. Sie hat die Bewohner zu ihrem beruflichen Hintergrund interviewt. Da gibt es die beiden IT-Experten und die zwei Juristen, den Autoverkäufer, den Maler, die Schneiderin, die Lehrerinnen, den Maurer und den Dekorateur, den Friseur und den Nussverkäufer. "Den englischsprachigen IT-Experten will jeder", sagt Zima. Den hat sie schnell untergebracht. Die Firma Pixel Group in Gräfelfing hat ihm einen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt, wo er gespendete Computer für den Sprachkurs zum Laufen bringt. Die Firma möchte den jungen Syrer gerne als festen Mitarbeiter übernehmen. "Wir sind eine klassische IT-Firma und erleben knallhart den Mitarbeiter-Engpass", sagt Geschäftsführer Simon Ashdown.

Viele Flüchtlinge haben jedoch keine abgeschlossene Schulausbildung. "Den meisten kam der Krieg dazwischen", sagt Zima. Diese Menschen liefen am ehesten Gefahr, irgendwann von Sozialhilfe abhängig zu sein. "Dabei können die Leute ja trotzdem etwas." Da sei zum Beispiel der junge Mann, der nur bis zur 6. Klasse in die Schule gegangen sei, aber jeden Mercedes reparieren könne. Beim Motorradhändler Tommy Wagner habe er gleich einen alten Wüstentruck repariert, der seit zwei Jahren nicht mehr angesprungen sei. Oder der junge Afghane, der in seiner Heimat künstlerisch gearbeitet hat und jetzt in der Möbelschreinerei Schiller&Wimmer gelandet ist: Hier hat er mit "kleinen Handgriffen" angefangen und beim Schleifen von Möbelteilen geholfen. "Demnächst geht es an die Maschinen", sagt Marco Schiller. Drei Monate soll der Praktikant bleiben, eine Ausbildung ist denkbar, sagt Schiller - für Zima der Idealfall: Aus dem ersten unverbindlichen Abtasten wird eine langfristige Bindung. Die IT- und die Handwerksbranche freut sich über das Mitarbeiterpotenzial. Malermeister Romanow hatte fünf Jahre in Folge keinen Auszubildenden gefunden. Jetzt ist Ahmad seine Chance - und Romanow ist Ahmads Chance.

Mirjam Dirscherl, Leiterin des Alten- und Pflegeheims St. Gisela, sieht sich als Arbeitgeberin in der sozialen Verantwortung: "Es ist unsere Aufgabe, diesen Menschen eine Zukunft zu bieten." Ein Jurist aus Syrien macht gerade ein Praktikum im Haus. Auch wenn er nicht dauerhaft in der Altenpflege bleibe, ebne er den Weg für andere: "Er ist wie ein Botschafter." Durch seine Erzählungen lernen die Menschen sein Schicksal kennen und zeigen Verständnis. Die Senioren seien offen dafür, viele hätten selbst Erinnerung an Kriegserlebnisse und fühlten sich mit den Flüchtlingen verbunden.

Wenn Ute Zima in die Gräfelfinger Turnhalle kommt, wird sie von den Bewohnern förmlich belagert: "Alle wollen ein Praktikum." Einen Großteil hat sie bereits vermittelt. Doch das Projekt steht erst am Anfang. Wenn das Flüchtlingswohnheim an der Großhaderner Straße fertig ist, ziehen voraussichtlich im Januar die etwa 70 Bewohner der Turnhalle dort ein. Es werden aber auch neue Flüchtlinge hinzukommen. Auch sie sollen in die deutsche Berufswelt schnuppern. Die Gräfelfinger Unternehmen warten schon.

© SZ vom 18.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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