Musical:Schneewittchen und die Zwerginnen

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Doppeljubiläum am Anton-Fingerle-Bildungszentrum: Seit 100 Jahren gibt es die Städtische Fachakademie für Sozialpädagogik. Seit zwei Jahrzehnten führen die angehenden Erzieherinnen und Erzieher erfolgreich Musicals auf

Von Astrid Benölken, Giesing

Hera fehlt. Und weil Hera gleich noch jemanden umbringen muss, kann es nicht ohne sie losgehen. "Hera", ruft ihre Zofe auf der Bühne, der Hofstaat stimmt ein und die "Hera"-Rufe wabern bis zur letzten Stuhlreihe der Aula und - Pech für Schneewittchen - bis zu Hera. Die kommt auf die Bühne geeilt, rückt noch einmal kurz ihre Krone zurecht, und dann können die Proben für das inzwischen 21. Musical der Fachakademie für Sozialpädagogik (FAKS) beginnen.

In diesem Jahr steht der Grimmsche Es-war-einmal-Klassiker "Schneewittchen" auf dem Spielplan - mit einigen Modifikationen, seltsamen Gestalten und Zwergen mit schrulligen Spleens: Einer der sieben mag nichts lieber als Disziplin und Ordnung, ein zweiter pflückt ständig Blümchen und singt, der dritte möchte ständig abstimmen. Jeder der sieben Zwerge steht überspitzt für ein Erziehungsmodell, das in den vergangenen Jahrzehnten gelehrt und gelebt wurde. Das Musical liefert damit seinen ganz eigenen Beitrag zu den Feierlichkeiten rund um das einhundertjährige Bestehen der städtischen Fachakademie. Im Jahr 1916 hatte die Stadt die Trägerschaft des Kindergärtnerinnen-Seminars aus den Händen des schwer erkrankten Direktors Albert Hermann übernommen.

Auf der Musicalbühne flackert rotes Licht auf und eine Nebelmaschine spuckt zischend zähen Sprühregen aus. "Ihr müsst den Gesichtsausdruck halten", ruft Regisseur Matthias Spengler von der Seite und zieht wie zum Beweis eine Grimasse. Beim ersten Musical stand Spengler noch als Schüler auf der Bühne, jetzt schreibt er mit dem musikalischen Leiter Wilfred Michl zusammen die Stücke und führt Regie. In Giesing sind die Musicals inzwischen eine Institution für sich, die kostenlosen Aufführungen meist hoffnungslos überbucht - obwohl die Studierenden bereits zwölf Vorstellungen spielen.

Um das Pensum zu stemmen, sind insgesamt etwa 150 Studierende an der Musicalproduktion beteiligt, 90 von ihnen stehen in wechselnden Teams als Schauspieler auf der Bühne. Damit jeder Spielwillige zum Zug kommt, haben Michl und Spengler Rollen wie "Artus, Sohn des Schmieds", einen "Bärenträger" und gleich drei Hexen dazuerfunden. Treten, wie etwa beim Tod Schneewittchens, alle gemeinsam auf, drängen sich die Schauspieler dann manchmal bis zum Bühnenrand.

Doch nicht nur auf der Bühne wird es eng: Seit 2012 steht auf dem Pausenhof der Fachakademie das "Gartenhaus", wie einige Lehrer den Containerbau auch nennen. Die Schule ist nach eigener Aussage die größte Einrichtung dieser Art in ganz Bayern. Dazu kommt, dass im Anton-Fingerle-Bildungszentrum, in dem die Akademie seit 1984 untergebracht ist, außerdem die Berufsfachschule für Ergotherapie, die Fachschule für Werklehrer und bis vor Kurzem die Fachakademie für Heilpädagogik beheimatet waren und sind; Überreste eines heute nebensächlich gewordenen Schulverbunds. Für 2018 ist ein Neubau an der Ruppertstraße geplant, in die ein Teil der Ausbildungsklassen umziehen soll. "Wir sind auf der einen Seite sehr dankbar, dass wir mehr Platz bekommen", sagt Schulleiterin Pauline Zikeli, "aber es wird unter diesen Umständen schwer, die Vielfalt in unserem Kollegium zu erhalten".

Das Kollegium an der FAKS ist bunt: Rechtswissenschaftler lehren hier genauso wie studierte Opernmusiker und Künstler. Bunt - aber doch vor allem weiblich. "Die Männersituation ist nach wie vor ausbaubar", sagt Schulleiterin Zikeli und zieht ein Diagramm mit den Schülerzahlen unter einem Zettelstapel hervor. Die stämmigen Balken in Dunkelrosa überragen die hellblauen Vierecke um Längen. Von den knapp 1600 Studierenden der Fachakademie sind nur 240 Männer. Tatsächlich bildete die Fachakademie jahrzehntelang auch nur Kindergärtnerinnen, Jugendleiterinnen und Werklehrerinnen aus. Erst 1964 wird der erste Kurs für "männliche Erzieher" angeboten. Beim Musical sind selbst die Zwerge größtenteils Frauen.

Die Lampe auf dem Notenpult wirft Schatten auf das Gesicht von Wilfred Michl. Mit der rechten Hand dirigiert der musikalische Leiter nachlässig ein unsichtbares Computerorchester, den Blick richtet er auf die Bühne. Noch kommt die Musik vom Band, erst bei der Generalprobe singen die Studierenden zum ersten Mal in Begleitung des Orchesters. "Da würde sich jeder Profi beschweren", sagt Michl. Aber die zusammengewürfelte Besetzung lässt ihm kaum Alternativen: Die Musiker kommen von der Städtischen Musik- und Singschule, ein Zahnarztbekannter von Michl ist darunter, Freunde, viele ehemalige Schüler, aber auch aktuelle, denn im Laufe ihrer Ausbildung müssen die Erzieher ein Instrument erlernen. Weil das Kollegium so bunt und die Schule so groß ist, gibt es vom Saxofon bis zum Schlagzeug viele Wahlmöglichkeiten. Ähnliches gilt für andere Fächer. Auch wenn sie das ein oder andere Mal Probleme bereitet: So manches Mal zahlt sich die Größe eben doch aus.

"Alles Gute muss bestehen, alles Schlechte muss vergehen", rufen die Sänger inzwischen mantragleich auf der Bühne. Ein Zittern durchläuft die böse Königin Hera, und zu Trommel- und Flötenmusik fängt sie an, sich wie ein Derwisch um die eigene Achse zu drehen, immer schneller und schneller, bis sich das pink-schwarze Kleid aufbauscht - und Hera schließlich zusammenbricht. An der Schlierseestraße hat das Gute gesiegt.

Schneewittchen, verschiedene Aufführungstermine, Schlierseestraße 47, Eintritt kostenlos, Reservierungen über faks-musical@gmx.de möglich

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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