Giesing:Michelangelo stand Pate

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Der Moses am Kanzelaufgang erinnert an eine der berühmtesten Skulpturen des Meisters

Als mächtiges, raumbeherrschendes Element reckt sich die Kanzel der Heilig-Kreuz-Kirche in der weiten Pfeilerhalle dem Gewölbe entgegen. Fast scheint es, als hätten die Bauleute versucht, den monumentalen Kirchturm zu imitieren. In bewährter Qualität wurde dieses Ausstattungsstück vom Tiroler Bildhauer Josef Beyer angefertigt. Den Entwurf hatte der Bauführer Johann Baptist Graßl geliefert, der auch die Bauleitung an Schloss Neuschwanstein innehatte. Wie viele andere Kunstwerke, wurde die Kanzel erst einige Jahre nach der Einweihung der Kirche fertig gestellt.

Am Kanzelkorb finden sich fünf steinfarbig gefasste Reliefs vor Goldhintergrund mit Christus als Pantokrator sowie den vier lateinischen Kirchenvätern Augustinus, Ambrosius, Hieronymus und Gregor, dazwischen Figuren der sogenannten kleinen Propheten des Alten Testaments. Am Kanzeldeckel werden Skulpturen von Maria, Johannes dem Täufer sowie Allegorien der drei christlichen Kardinaltugenden Glaube, Liebe und Hoffnung gezeigt. Lediglich bis zur Hälfte des Kanzelaufgangs hat es eine Figur des Moses mit den Gesetzestafeln geschafft, die deutlich von Michelangelos Darstellung in der römischen Kirche San Pietro in Vincoli beeinflusst ist. Hintergrund dürfte die theologische Aussage sein, dass das Evangelium, das von der Kanzel aus verkündet wird, zwar auf den Geboten des alten Testaments basiert, sie aber weiterführt und vollendet.

Gegenüber der Kanzel hängt als einziges nachweislich aus der alten Giesinger Kirche stammendes Kunstwerk ein frühbarocker Kruzifixus, unter dem eine neugotische Schmerzensmutter steht. Solche Kanzelkreuze sollten den Prediger daran erinnern, dass er Christus als den Gekreuzigten zu verkünden hatte. Dem Patrozinium entsprechend, finden sich im Kirchenraum etliche Kreuzesdarstellungen. Die eindrucksvollste ist ein Fragment: Nach der Tradition soll 1463 ein Kreuz am Isarufer in der Au angeschwemmt worden sein. Das Herbergshaus, an dessen Fassade es bis zum Zeiten Weltkrieg hing, brannte nieder und mit ihm das von der Bevölkerung stark verehrte Kreuz. Bis vor wenigen Jahren galt es als vernichtet. Doch wie sich herausstellte, barg ein damals 16-jähriger Ministrant das bis auf die Beine verbrannte Fragment. Nun wird es in der Eingangshalle der Kirche gezeigt.

Nach vierjähriger Sanierung der Heilig-Kreuz-Kirche rückt der Tag der Wiedereröffnung näher. Mit einem wöchentlichen Beitrag möchte die SZ Vorfreude auf den 22. November wecken. Die Texte stammen von Pfarrer Engelbert Dirnberger.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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