Giesing:Innige Frömmigkeit

Lesezeit: 1 min

Jede Locke, jede Falte - die Gesichter von Josef Beyrer haben eine fein herausgearbeitete Physiognomie. (Foto: oh)

Bildhauer Josef Beyrer schuf einen Großteil der neugotischen Ausstattung

Die Heilig-Kreuz-Kirche in Giesing ist der einzige neugotische Kirchenbau in München, dessen Ausstattung mit Ausnahme der Glasgemäldefenster den Zweiten Weltkrieg und die nachfolgenden Jahrzehnte weitgehend überstanden hat. Zwar brannte der Dachstuhl in einer Bombennacht, doch das Gewölbe darunter hielt Stand und schützte Altäre, Kanzel und Kreuzwege. Auch die sechs monumentalen Reliefs, die nun in den Apsiden der Querschiffe hängen, blieben erhalten. Sie zeigen die Anbetung der Könige, die Taufe Jesu, das Letzte Abendmahl, Christus am Ölberg, die Auferstehung und die Übertragung der Schlüsselgewalt an Petrus.

Der Tiroler Bildhauer Josef Beyrer (1839-1924) schuf die Reliefs mit handwerklicher Bravour und in aufwendiger theatralischer Staffage. Die gewaltigen neugotischen Rahmen umfangen die Szenen wie Theaterbühnen. Die Schnitzkunst Beyrers traf in ihrer Virtuosität den damaligen spätnazarenischen Zeitgeschmack. Sie vermittelt Innigkeit, Pathos und eine fast gekünstelt wirkende Frömmigkeit. Der aus Lermoos stammende Bildhauer unterhielt zunächst in Kaufbeuren ein "Atelier für Altarbau und Kirchenrestaurationsarbeiten", ehe er sich 1865 in München niederließ und dort anschließend mehr als 30 Jahre lang ein höchst erfolgreiches Unternehmen betrieb.

An den Wandpfeilern der Seitenschiffe im Langhaus reihen sich ebenfalls von Josef Beyrer aus Lindenholz geschnitzte Skulpturen der zwölf Apostel. Die in Steingrau gefassten Figuren versuchen die überlieferten Charaktereigenschaften durch Variation von Körperhaltung, Typus und Gestus zu differenzieren. Die in den Nachkriegsjahren verloren gegangenen Baldachine wurden aus Kostengründen nicht wiederhergestellt. Bei der feierlichen Einweihung 1886 befand sich bis auf den Hochaltar und das Gestühl kaum ein Ausstattungsgegenstand in der Kirche. Die Apostelfiguren kamen erst fünf Jahre später an ihren Platz, die Reliefs gar erst 1894. Heute treten besonders letztere in ihrer ursprünglichen Schönheit und hohen Qualität nicht nur vor das Auge des Betrachters, sondern in Dialog mit ihm. Wer möchte, wird unmittelbar hineingenommen in das Geschehen von damals und gesellt sich zum Beispiel zu den Königen und Hirten an der Krippe.

Nach vierjähriger Sanierung der Heilig-Kreuz-Kirche rückt der Tag der Wiedereröffnung näher. Mit einem wöchentlichen Beitrag möchte die SZ Vorfreude auf den 22. November wecken. Die Texte stammen von Pfarrer Engelbert Dirnberger.

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: