Giesing:Dichte zwingt zum kreativen Bauen

Lesezeit: 2 min

Eine Podiumsdiskussion am Grünspitz skizziert, was die Stadt tun muss, um attraktiv und bezahlbar zu sein

Von Julian Raff, Giesing

Eng zusammenrücken, genau wie die Alt- und Neumünchner im Stadtgebiet- das mussten auch die Teilnehmer einer Diskussionsrunde zu "Perspektiven und Akteuren der Stadtgestaltung" im winzigen Giesinger Stadtteilladen. Ursprünglich hatte OuiShare, ein internationaler, web-gestützter Zusammenschluss urbaner Aktivbürger, auf den Giesinger Grünspitz geladen.

Dass der stete Regen dann knapp 30 Giesinger und fünf Menschen auf dem Podium von dort in die Enge des benachbarten Stadtteiltreffs vertrieben hatte, passte gut zum Thema und gab dem Abend zusätzlichen Schub, ohne dass die Gäste deshalb gleich im bayerischen Sinne "z'ammgruckt", sprich aneinandergeraten wären. Unterschiedliche Wahrnehmungen und Meinungen zeigten sich dennoch schnell: Keinen Dichtestress verspürt zum Beispiel Sophie Wolfrum, Professorin für Städtebau und Regionalplanung an der Technischen Universität München.

In ihrem vielschichtigen Referat war sie unter anderem auf die Flut an Nachbarschaftklagen gegen öffentliche Projekte eingegangen, führt diese aber, anders als manche Teilnehmer, nicht auf dichtere Bebauung zurück. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Münchner ist zwar von früher 45 auf nunmehr 39 Quadratmeter zurückgegangen, liege damit aber immer noch weit über dem Wert der frühen Nachkriegszeit. Es könne also nicht an der Baudichte allein liegen, dass sich die Rechtsprechung "in Absurditäten hineinmanövriert" habe, so die Wissenschaftlerin.

Sie wolle Entwicklungen, wie die wachsende Reizbarkeit vieler Zeitgenossen aber nicht "naturalisieren", sprich als gegeben hinnehmen, sondern sieht politischen Handlungsspielraum. Zumindest eine Chance biete da zum Beispiel das Bauplanungsrecht. Ob die vom Bundesgesetzgeber vorbereitete neue Kategorie des "urbanen Gebiets" wirklich mehr Harmonie ins Stadtleben bringen könne, hänge freilich von der genauen Formulierung ab.

Bis jetzt erkennt Wolfrum lediglich eine Zwischenstufe zwischen Wohn- und Mischgebiet. Die Probleme von Mega-Metropolen wie Tokio kenne man freilich in ganz Deutschland nicht. Selbst mit einer Zahl von 1,7 Millionen Einwohnern, die München wohl schon im Jahr 2030 erreichen könnte, bleibe die Stadt überschaubar, so die Professorin.

Zudem registriert sie speziell in München ein "Umstülpen der Grundstimmung" im Zehn-Jahres-Zyklus. Der blech- und betonseligen Fortschrittseuphorie der Siebzigerjahre folgte die Zivilisationskritik der Achtziger, dem Nachwende-Boom der Neunziger (samt Büroleerstand) schließlich die Angst vor dem Stadtkollaps. Allerdings sei kein einziges dieser Szenarien eingetroffen, konstatierte sie.

So ganz ansteckend wirkte die Gelassenheit der historisch-globalen Perspektive nicht. Überfällig ist, nach allgemeiner Überzeugung, sowohl die Rückkehr zum sozialen Wohnungsbau als auch kreativeres Bauen. "Wir sind da schon findig", meinte Ulrike Klar, Baudirektorin im Planungsreferat, mit Seitenblick auf die überbauten Parkplätze am Dantebad. Sympathie für noch weiter gehende Ideen, wie einen bebauten Deckel auf der Stadt-Trasse der Lindauer Autobahn, äußerte Klar erst auf Drängen ihrer Vorrednerin Wolfrum.

Weiter ausbaufähig bleibt auch der zehnprozentige Genossenschafts- und Sozialanteil auf dem Münchner Wohnungsmarkt. Die Wiener Zweidrittel-Quote ist aber nach übereinstimmender Meinung des Podiums kaum zu erreichen. Ähnliches gelte für neue Werkswohnungen. Mit entsprechenden Anfragen bei Unternehmen "beißen wir auf Granit", so Klar.

Um das Stadtleben außerhalb der eigenen vier Wände drehte sich eine weitere Themenrunde, die dann auf dem inzwischen wieder halbwegs trockenen Grünspitz stattfand. Nicht nur in Giesing mangele es längst an Aufenthaltsflächen "ohne Konsumzwang", stellt Irene Nitsch von Green City fest. Entsprechend gut kommt das vom Verein vor drei Monaten aufgestellte Mobiliar an. Die raffinierten, zur "Volksbühne Giesing" gruppierbaren Sitzelemente wurden weder geklaut noch beschädigt, obwohl, oder vielmehr weil der Spitz zwischen Martin-Luther- und Tegernseer Landstraße für einige Giesinger zum Freiluft-Wohnzimmer geworden ist - fast rund um die Uhr und bei jedem Wetter, wie der Abend nebenbei auch zeigte.

© SZ vom 12.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: