Schreckliche Erinnerungen an die Flucht:Wenn "der Kopf kaputt" ist

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Viele Flüchtlinge und Asylbewerber sind von ihren Erlebnissen traumatisiert oder leiden unter Depressionen. Die notwendige psychotherapeutische Versorgung leistet das neue Modellprojekt "Taff" der Diakonie.

Von Gudrun Regelein, Freising

Sie haben Bombardierungen erlebt, ihre Familien wurden vor ihren Augen ermordet. Frauen, die aus Nigeria flüchteten, berichten von Zwangsprostitution. Was Flüchtlinge hätten erleben müssen, sei oft unvorstellbar schrecklich, sagt Jan Drobniak. Der Psychologe ist gemeinsam mit seiner Kollegin Roswitha Ramin Ansprechpartner in der neuen Kontakt- und Koordinierungsstelle für psychisch erkrankte Flüchtlinge und Asylbewerber der Diakonie Freising. Etwa 30 Prozent der geflüchteten Menschen seien traumatisiert, bis zu 50 Prozent litten unter Depressionen. Er höre oft Sätze wie "Mein Kopf ist kaputt", berichtet Drobniak. Oder seine Klienten erzählen ihm von Schlafstörungen, haben Konzentrationsprobleme oder verletzen sich selber. Gerade aber im ländlichen Raum, abseits der großen Behandlungszentren wie in München, sei die therapeutische Versorgung dieser Menschen nicht ausreichend, sagt Drobniak.

"Taff" - eine Initiative der Stiftung "Welten verbinden" des Diakonischen Werkes Bayern - soll diese Lücke schließen. "Taff" steht für "Therapeutisches Angebot für Flüchtlinge" und will die psychotherapeutische Versorgung von traumatisierten und psychisch erkrankten Flüchtlingen ausbauen und verbessern. Gestartet wurde "Taff" als Modellprojekt 2015 in Kempten, in Freising wurde es im Dezember 2017 etabliert. Bislang wurden hier schon etwa 30 Klienten betreut.

Derzeit sucht "Taff" vor allem Dolmetscher

"In erster Linie bieten wir ein Case-Management", erklärt die Psychologin Roswitha Ramin. Sie und ihr Kollege, die beide zuvor Erfahrungen in der Asylsozialarbeit gesammelt haben, klären in ausführlichen Gesprächen mit den Flüchtlingen den Therapiebedarf und vermitteln eine geeignete Behandlung. Sie sind aber auch Ansprechpartner für Ehrenamtliche, Asylsozialarbeiter, Behörden, Sprachmittler, Therapeuten und Ärzte. Von Herbst an wird es beispielsweise auch ein Fortbildungsangebot für Psychotherapeuten geben.

Bislang sei sehr viel Energie in den Aufbau eines psychotherapeutischen Netzwerks gesteckt worden, berichtet Ramin. Es gehe darum, alle Akteure zu vernetzen und die therapeutische Hilfe zu optimieren. Derzeit bemühe man sich beispielsweise, den Dolmetscherpool auszubauen: Sprachmittler, die noch speziell für die Psychotherapie geschult werden, sollen zukünftig an die behandelnden Therapeuten vermittelt werden. Die Übersetzer seien sehr wichtig, betont Jan Drobniak. Die Sprachbarriere sei ein großes Problem, selbst wenn man sich in Englisch unterhalten könne, würden viele Feinheiten verloren gehen. Noch sei man auf der Suche nach Muttersprachlern in Dari, Arabisch, Somali, Paschto und Tigrinya.

Auch wer nicht traumatisiert ist, braucht Stabilität

"Es geht Schritt für Schritt voran", sagt Ramin. Ziel sei, dass derjenige, der einen Therapieplatz benötigt, diesen auch möglichst bald bekommt - derzeit sei die Wartezeit sehr lang. Bei den anderen aber, die nicht schwer traumatisiert seien, gehe es darum, eine Stabilisierung zu schaffen. Ganz wichtig dabei sei eine Tagesstruktur, betont Drobniak. "Das aber ist bei den politischen Rahmenbedingungen nicht immer einfach oder möglich." Als Beispiel nennt er Asylbewerber, die abgelehnt wurden aber nicht abgeschoben werden können: Diese hätten keine Perspektive, dürften weder arbeiten noch Sprachkurse besuchen.

Die Beratung der traumatisierten oder unter Depressionen leidenden Flüchtlinge sei eine riesige Herausforderung, betont auch Kristina Kluge-Raschke, die Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Caritas Freising. In der Beratung der Caritas könne nur eine Grundversorgung geleistet werden. Eigentlich aber sei bei traumatisierten oder an Depressionen erkrankten Flüchtlingen eine langfristige - oft jahrelange - Begleitung notwendig. In den vergangenen Jahren seien zwar viele und unterschiedliche neue Angebote geschaffen worden. Aber eigentlich bräuchte etwa die Hälfte der hier lebenden Flüchtlinge - derzeit wohnen etwa 1850 geflüchtete Menschen im Landkreis - eine sozialpsychiatrische Unterstützung. Kluge-Raschke ist deshalb froh um das neue Angebot der Diakonie: "Taff ist sehr in unserem Sinne. Wir agieren parallel und auch gemeinsam."

© SZ vom 09.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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