An der Ziegelgasse:Großbürgerliches Schmuckstück und Sanierungsobjekt

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1898/99 wurde das großbürgerliche Anwesen im Stil der Neurenaissance erbaut. Seit 2006 ist es nicht mehr bewohnt. (Foto: Lukas Barth)

An dem alten Gebäude an der Ziegelgasse 16 nagt schon lange der Zahn der Zeit, viele Freisinger fragen sich, warum dort nichts passiert. Besitzer Ralph-York Desch will das Haus renovieren, sobald er im Ruhestand ist

Von Angie Fuchs, Freising

Obwohl es seit einigen Jahren leer steht und der Zahn der Zeit an ihm nagt, ist seine ehemalige Pracht noch deutlich zu erkennen. Manch einer hat sich sicher schon gefragt, was aus ihm werden soll: Die Rede ist von dem denkmalgeschützten Schmuckstück an der Ziegelgasse 16. Laut Freisinger Adressbuch lebten 2004 hier noch sieben Mieter, seit 2006 ist es nicht mehr bewohnt und wartet auf eine Rundumsanierung - und die soll es laut Ralph-York Desch bald bekommen.

Als das Gebäude vor gut einem Jahrzehnt zum Verkauf stand, habe er sofort zugegriffen, erinnert sich Desch. Denn dies sei eine der letzten Gelegenheiten in Freising gewesen, ein altes Haus zu kaufen, das "nicht schon zum x-ten Mal umgebaut oder verändert" wurde. Dieser ursprüngliche Zustand fasziniert ihn, hier sei "wenig verpfuscht". Seit das großbürgerliche Anwesen 1898/99 im Stil der Neurenaissance erbaut wurde, sei eigentlich nur der Dachstuhl erneuert worden. Der sei aus den 1990er Jahren und mit ein Grund, warum die Substanz des Hauses noch so gut in Schuss ist. Doch dass seit 120 Jahren nicht viel verändert wurde, bringt natürlich auch viel Arbeit mit sich:

Nicht jede Wohnung im Haus hat Bad und WC

Fenster, Türen, Böden, Heizung, Elektrizität und sanitäre Einrichtungen müssen komplett überholt werden. Von Architekt Alois Steinecker wurde - wie damals üblich - nicht für jede Wohnung ein Bad und ein WC eingeplant.

Ralph-York Desch ist "mit alten Sachen aufgewachsen", wie er erzählt. Sein Vater hatte ein Antiquariat an der Ziegelgasse. Als Vorstandsmitglied des Historischen Vereins hält er mittlerweile selbst immer Ausschau nach schönen, alten Stücken, die man für Freising erwerben und erhalten kann. Und in dieser Reihe sieht er auch das Haus an der Ziegelgasse. Es soll nach den Regeln des Denkmalschutzes hergerichtet werden - aber auch mit "zeitgenössischem Komfort". Desch hat schon viele Ideen für das Haus - kein Wunder: Seine Anwaltskanzlei liegt nur ein paar Gehsekunden von der Nummer 16 entfernt und so sieht er das Haus mindestens zwei Mal täglich, morgens und abends. Und mindestens genauso oft mache er sich Gedanken dazu, sagt er. Warum aber hat er mit dessen Umbau noch nicht begonnen? Desch betont, er habe es nicht als Spekulationsobjekt gekauft, das zu einem günstigen Zeitpunkt abgestoßen werde. Im Gegenteil. Er habe vor, hier Wohn- und Büro-Räume zu schaffen und sich viel Zeit zu nehmen, all seine Ideen einzubringen: "Es soll etwas Schönes daraus entstehen."

Desch möchte diesen Umbau "genießen", aktiv daran teilnehmen und ihn nicht lieblos parallel zu einem Vollzeit-Job abarbeiten, wie er sagt. Da ihn sein Beruf derzeit noch voll auslaste, habe er die Renovierung sozusagen als sein Ruhestands-Projekt geplant. Auch wenn er noch nicht mit der Renovierung begonnen hat, ist er froh, das Haus zu besitzen und es somit gerettet zu haben - etwa vor einem ähnlichen Schicksal, wie es die beiden alten Villen an der Münchner Straße ereilt hat, die "in einer Nacht- und Nebel-Aktion weggerissen" wurden. Das ärgert ihn noch immer: "Natürlich brauchen wir Wohnraum - aber man kann doch nicht einfach alles unter diese Prämisse stellen", findet er.

Eine umstrittene Abrissaktion gab es auch 1898 in der Ziegelgasse

Eine umstrittene Abrissaktion gab es auch 1898 in der Ziegelgasse: Als letztes der Freisinger Stadttore wurde das Ziegeltor weggerissen. Die Entscheidung sei ziemlich knapp gewesen, erklärt Florian Notter, Leiter des Stadtarchivs. Als offiziellen Grund habe man dafür den Verkehr genannt, für den ein breiterer Stadteingang nötig sei. Doch der Verkehr sei damals noch sehr überschaubar gewesen. Vor allem habe man das mittelalterliche Flair aus der Stadt vertreiben wollen, sagt Notter. Zusammen mit dem Ziegeltor wurde 1898 auch noch das Haus daneben abgerissen: das "Fläxl'sche Anwesen". Schneidermeister Johann Fläxl hatte dort bis 1897 seine Werkstatt sowie eine "Kleinkrämerei". Für 18 000 Mark hatte er es in dem Jahr der Stadtgemeinde Freising verkauft, die es abreißen und neu aufbauen ließ. Diesem Neubau, der heutigen Nummer 16, kam damals eine Art Vorreiter-Rolle zu: Freising sollte nach Norden geöffnet werden. Dort wollte die Stadt mehr Stadtquartiere schaffen, wie man es aus größeren Städten kannte, erklärt Notter. Es sollten also Wohnungen für die wachsende Stadtbevölkerung entstehen - weg vom Graben, der seinerzeit als Quelle für Krankheiten galt. Dass das Haus mit der Nummer 16 für eine "Stadt-Öffnung" steht, erkenne man an auch daran, dass der Architekt es so geplant habe, dass - anders als bei den Graben-Häusern - auch die stadtauswärts gerichtete Seite ansprechend gestaltet worden sei.

Doch die Pläne blieben stecken: vor allem mangels Investoren und später auch durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Statt der Stadtquartiere, wo auf wenig Raum viele Menschen hätten untergebracht werden können, entstanden im Norden eher Villen. Und so kann man sagen, dass das Haus Nummer 16 an der Ziegelgasse eins der wenigen Exemplare ist, das im Rahmen der "Stadtutopie", so Notter, jener Zeit errichtet wurde.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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