Arbeiten am Limit:Sanitäter klagen: "Wir werden missbraucht"

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Die Retter vom Bayerischen Roten Kreuz sind an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und suchen händeringend nach Verstärkung. (Foto: BRK Ebersberg)

Beim "Blaulichtgespräch" des Landtagsabgeordneten Florian Herrmann stöhnen BRK, Malteser und Johanniter unisono über Personalmangel, unnötige Einsätze und zunehmende Respektlosigkeit der Leute.

Von Johann Kirchberger, Freising

Wenn ein Sanka mit Blaulicht und hoher Geschwindigkeit unterwegs ist, dahinter vielleicht auch noch ein Notarzt fährt, dann ist zwar irgendwo etwas Schlimmes passiert. Aber die Leute sind doch irgendwie beruhigt, wenn sie sehen und hören, dass die Rettungskräfte schon unterwegs sind, um zu helfen. Doch das ist längst nicht mehr so selbstverständlich, wie man glaubt. Die Retter nämlich haben große Probleme, vor allem fehlt es ihnen an Personal. Und zu allem Überfluss werden sie auch noch zu vielen unnötigen Einsätzen gerufen.

"Wir werden missbraucht", klagten Vertreter von Rotem Kreuz, Maltesern und Johannitern bei einem Gespräch mit dem Landtagsabgeordneten Florian Herrmann (CSU). Da riefen Leute nach dem Notarzt, die Schnupfen haben oder sonst ein Wehwehchen, das sie seit Wochen plagt und sich lange Wartezeiten bei ihrem Arzt ersparen wollen. Andere hätten keinen Termin bei einem Facharzt bekommen und erhofften sich in der Notaufnahme des Krankenhauses eine raschere Behandlung. Viele Fahrten seien völlig überflüssig, Personal und Fahrzeuge für wirklich notwendige Einsätze würden dadurch blockiert. Von einer "Vollkaskomentalität" sprach Herrmann in diesem Zusammenhang, von einem Anspruchsdenken, das leider ständig zunehme.

Das Anspruchsdenken nimmt zu: Die Sanitäter werden wegen eines Schnupfens gerufen, gleichzeitig gibt es zu wenig Personal

Gleichzeitig nehmen auch die Personalprobleme der Helfer zu. Das beginnt bei der Besetzung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes und des Notarztdienstes und endet bei den Krankentransporten. "Wir haben keine Leute mehr", klagte Robert Schmitt vom Medizinischen Katastrophenhilfswerk. Albert Söhl vom BRK Freising konnte das nur bestätigen. "Wir arbeiten am Limit", sagte er. Irgendwie gelinge es zwar bisher noch, alle Vorgaben zu erfüllen, doch das werde immer schwieriger. Das liege unter anderem daran, dass die Zahl der ehrenamtlichen Helfer zurückgehe und es drei Jahre lang versäumt worden sei, Notfallsanitäter auszubilden.

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"70 Prozent unserer Lehrlinge hören schon nach kurzer Zeit wieder auf", schilderte Schmitt die Situation bei den hauptamtlichen Helfern, "weil der Druck zu groß ist und weil die Leute zu wenig verdienen". Auch die Anforderungen an die ehrenamtlichen Helfer seien enorm, sagte Söhl. Die Ausbildung zum Rettungssanitäter dauere acht Wochen, die Leute müssten sich dafür Urlaub nehmen. Probleme bereiteten zudem die ständig erweiterten Vorschriften, bemerkte Iris Menzinger vom BRK, "wir stehen ständig mit einem Bein im Gefängnis". Andererseits würde alles zusammenbrechen, so Söhl, würden alle nur noch nach Vorschrift arbeiten.

Ohne die "Liegendtaxi-Unternehmer" geht es gar nicht mehr, sagt Robert Schmitt vom Medizinischen Katastrophenhilfswerk

Ein Problem sind auch die Krankentransporte. Weil es an Personal und Fahrzeugen mangelt, müssen diese Aufgaben vielfach Rettungsfahrzeuge übernehmen, die dann bei Ernstfällen fehlen. Ohne den "grauen Markt", so Schmitt, die sogenannten "Liegendtaxi-Unternehmer", ginge es gar nicht mehr. Die aber übernähmen Krankentransporte, die sie eigentlich gar nicht durchführen dürften, weil die Patienten während der Fahrt betreut werden müssten. Auch würden hygienische Vorschriften von diesen Taxis nicht beachtet.

Diskutiert wurde beim "Blaulichtgespräch" im Weihenstephaner Bräustüberl auch die Vorbereitung der Rettungsdienste auf Terroranschläge. Dazu sei es notwendig, alle Rettungsfahrzeuge mit sogenannten Rebell-Sets auszustatten, einer militärischen Sanitätsausrüstung, wie sie bei Schussverletzungen benötigt werde. Die Ausbildung damit sei zwar im Gange, hieß es. Aber auch Polizisten müssten ausgebildet werden, um Terroropfern helfen zu können, weil die Rettungskräfte abgesperrte Bereiche aus Sicherheitsgründen zunächst oft gar nicht betreten dürften. Gleichwohl müssten derart schwer verletzte Menschen zumeist spätestens nach einer Stunde operiert werden, um eine Überlebenschance zu haben.

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Wie Schmitt berichtete, wird die Zusammenarbeit aller Hilfsorganisationen ständig geübt, um auch bei Anschlägen mit Hunderten von Verletzten gerüstet zu sein. Das klappe jedoch noch nicht so gut, sagte er, in Frankreich oder Spanien sei man da schon weiter. "Wir müssen uns auf viele neuen Sachen einstellen", bestätigte Söhl. Die Gefahren solcher Anschläge würden nicht weniger.

Gleich mehrere Mitarbeiter wurden in Freising seit letztem Jahr krankenhausreif geschlagen

Auch, was die Gewalt gegen Rotkreuz-Helfer angehe, macht sich Söhl Sorgen. Früher sei so etwas nicht vorgekommen, sagte er. Seit dem vergangenen Jahr habe es nun aber in Freising schon drei Fälle gegeben, in denen Mitarbeiter, die helfen wollten, krankenhausreif geschlagen worden seien. Eine Rolle gespielt habe dabei der Alkohol, aber diese gravierenden Fälle zeugten auch von der zunehmenden Respektlosigkeit der Leute gegenüber Rettungskräften.

Birgit Wahl, Notärztin und Mitglied im Kriseninterventionsteam, berichtete über Einsätze in Asylunterkünften. Dort habe man es zwar meist mit verzweifelten Menschen zu tun, sagte sie, es sei auch noch nie zu Angriffen gekommen, trotzdem habe man ein ungutes Gefühl, wenn man plötzlich Hunderten von aufgebrachten Menschen gegenüberstehe. "Auf so etwas sind wir nicht vorbereitet", so Wahl. Einmal habe sie sogar nur unter dem Schutz der Bereitschaftspolizei eine Mutter betreuen können, deren Kind gerade gestorben sei.

© SZ vom 01.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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