Gefängnis:Ex-Häftling der JVA Erding berichtet von Drogenkonsum im Knast

Gefängnis: Der größte Teil der Drogen wird von Besuchern oder Freigängern ins Gefängnis geschmuggelt. Mit den Durchsuchungen lässt sich das kaum verhindern.

Der größte Teil der Drogen wird von Besuchern oder Freigängern ins Gefängnis geschmuggelt. Mit den Durchsuchungen lässt sich das kaum verhindern.

(Foto: Bauersachs)

Er erhebt schwere Vorwürfe: Beim Ausstieg aus der Sucht bekämen Drogenabhängige zu wenig Hilfe - an Rauschgift zu kommen, sei hingegen kein Problem.

Von Tahir Chaudhry, Erding

Zwei Mal wurde Markus Huber (Name geändert) wegen Drogendelikten zu drei und eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er ist bereit, über das zu reden, was er in seiner Haftzeit in der Justizvollzugsanstalt Erding (JVA) erlebt hat. Das Thema ist heikel: Es geht um Drogen hinter Gittern. Huber spricht mit der SZ am Telefon, seine Therapeutin hört mit. Zu seinem Schutz wird weder sein richtiger Name, sein Alter noch sein Entlassungsdatum genannt. Auch weil das Erdinger Gefängnis eine kleiner, überschaubarer Knast ist. Derzeit sitzen dort nur 52 Inhaftierte ein.

Markus Huber war vor seiner Inhaftierung schwer drogenabhängig. Er sagt, dass er monatlich 4000 Euro für Heroin und Crystal Meth ausgegeben hat. Im Knast habe er dann nur noch ein einziges Mal Rauschgift konsumiert. Nicht, weil es nichts gegeben hätte. Seine Mithäftlinge hätten relativ problemlos Drogen konsumiert. Aber Drogen sind im Gefängnis teuer. Andere habe das nicht abgehalten. Sie hätten sich mit der Tauschwährung Tabak und Kaffee Rauschgift gekauft, sich für ihren Drogenkonsum verschuldet oder sexuelle Dienste als Gegenleistung angeboten.

Der Sozialpädagoge Michael Wonner von der externen Suchtberatung "Landshuter Netzwerk" berät Suchtkranke in den Gefängnissen Landshut, Mühldorf und Erding. Er weiß, dass auch in der JVA Erding Drogen konsumiert werden. Manche Gefangenen würden sogar erst in der Haft mit Drogen anfangen. "Labile Leute werden in Haft leichter Opfer für extreme Haltungen", sagt Wonner. Und: "Das Gefängnis ist für die Resozialisierung kaum geeignet, da es ja selbst eine Subkultur darstellt."

Dass Drogenkonsum während der Haft durchaus vorkomme, räumt auch der Dienstleiter der JVA Erding, Georg Gaigl, ein. Doch das sei nur ganz selten, "circa in drei Fällen im Jahr". Man treffe schließlich Vorsorge: Bei jedem Neuzugang würden ein Drogentest und während der Haft weitere unvermutete Tests durchgeführt. Bei einem positiven Ergebnis leite man in jedem Fall ein Disziplinarverfahren und gegebenenfalls ein Strafverfahren ein.

"Für den größten Teil des Nachschubs sorgen Besucher und Freigänger"

Huber sagt, dass es viel häufiger passiere, als Gaigl glaube. Er habe selbst erlebt, wie Mithäftlinge regelmäßig harte Drogen wie Heroin konsumierten und sogar erst im Gefängnis süchtig geworden seien. Weil sie mit ihren Angstzuständen, Depressionen und Schlafstörungen nicht klar kamen. "Für den größten Teil des Nachschubs sorgen Besucher und Freigänger", sagt Huber.

Wenn man in einem Besucherraum ohne Trennscheibe ist, sei eine Handübergabe einfach. Doch auch wenn ein Häftling mit einer Trennscheibe von seinem Besucher getrennt ist, gebe es Möglichkeiten Drogen einzuschmuggeln. Der Besucher könne ein Päckchen Rauschgift zum Beispiel in einem Mülleimer verstecken. Der sogenannte Hausarbeiter, ein Inhaftierter, fische es später einfach aus dem Müll.

JVA-Dienstleiter Gaigl sagt zwar, dass alle Besucher und jeder Freigänger vor dem Betreten der Haftanstalt kontrolliert würden. Doch er räumt auch ein: "Ein Einbringen von Drogen kann nicht zu 100 Prozent verhindert werden."

Huber sagt, er habe auch mehrfach erlebt, dass sogar Vollzugsbeamte Drogen in die JVA schleusten. Gaigl verneint das: "Es ist kein Fall bekannt, in welchem ein Beamter Drogen in die Anstalt eingebracht hat." Doch Huber besteht darauf, es selbst gesehen zu haben. Bei einem längeren Gefängnisaufenthalt sei es zudem relativ einfach, Vertrauen zu einem Beamten aufzubauen. Und: "Es kommt nicht selten vor, dass man sich noch von draußen kennt."

Huber hat sich mehr Hilfe erhofft

"Dass man im Gefängnis an Drogen herankommt, hören wir immer wieder", sagt auch Thomas Pölsterl von der Suchtberatungsstelle Prop. Ihm erzählten Klienten indes vor allem von der "Gefängniszeit als abschreckende Erfahrung, als notwendige Zäsur". Im Knast tiefer in die Sucht zu rutschen, komme nur selten vor. Vielen gelinge es recht gut, im Gefängnis "Nein" zu sagen. Aber eines sei wichtig: Ein suchtkranker Häftling brauche fast immer therapeutische Unterstützung.

Der ehemalige Häftling Huber spricht allerdings von "null Unterstützung". "Das einzige, was man bei Drogensüchtigen macht, ist nachzufragen, wie der Entzug läuft." JVA-Dienstleiter Gaigl entgegnet, dass Suchtkranken sehr wohl in verschiedener Weise geholfen werde. Gebe es Erkenntnisse, dass eine Suchterkrankung vorliegt, werde der Inhaftierte unverzüglich dem Anstaltsarzt vorgestellt und auf die externe Drogenberatung hingewiesen. Deren Mitarbeiter, wie Michael Wonner, kämen regelmäßig in die Haftanstalt.

Huber hatte sich dennoch mehr Hilfe erhofft. Er berichtet, dass er während seines kalten Entzugs nichts gegen die Schmerzen und Entzugssymptome bekommen habe, nur Schlafmittel. Seiner Erfahrung nach dauere es viel zu lang, bis ein drogenabhängiger Strafgefangener therapeutische Hilfe erhalte.

"Die bayerische Justiz ist zunehmend konservativer geworden"

Laut Paragraf 35 des Betäubungsmittelgesetzes sollte bei einem Suchtkranken eigentlich eine Therapie an die Stelle des regulären Strafvollzugs treten. Nur ist das immer seltener der Fall, sagt Suchtberater Michael Wonner: "Vor zehn Jahren war es noch wesentlich leichter, von der Haft heraus in eine Fachklinik zu wechseln. Die bayerische Justiz ist zunehmend konservativer geworden."

Viele Betroffene empfänden die Begründungen, wenn ihnen Therapiemöglichkeiten verweigert werden, als zynisch. Sie fühlen sich hinter Gittern mit ihrem Problem allein gelassen.

Für Markus Huber ist die Zeit in der JVA Erding vorbei. Er scheint fest entschlossen: "Ich will endlich ein neues Leben beginnen." Die zehn Jahre Drogenabhängigkeit haben Spuren hinterlassen. Er hat erkannt: "Man wird ja nicht jünger. Es belastet den Körper, die eigene Psyche und die der Familie."

Nach seiner Entlassung steht Markus Huber am Anfang einer langen Therapie und muss sich im realen Umfeld neu orientieren. Seine Familie und Freunde stehen hinter ihm, auch sein nicht abgeschlossene Lehre kann er bald fortsetzen.

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