Kunstausstellung:Künstlerin Katharina Reich bepflanzt das Wasserburger Ganserhaus

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Diese Thujen wachsen - völlig abgeschnitten von natürlichem Tageslicht - in der Galerie im Ganserhaus in Wasserburg. (Foto: Manuel Michaelis)
  • "Kunst im Kontext" heißt das, was Katharina Reich schafft.
  • In ihrer neuesten Ausstellung bepflanzt die Berliner Künstlerin die Galerie im Ganserhaus in Wasserburg.
  • Das hat etwas mit der Zukunft der Menschheit, dem Tschetschenienkrieg und Reichs Vater zu tun.

Von Theresa Parstorfer

Braun und verdorrt sieht die Hecke aus. Als sei sie tot. Aber der Schein trügt. Die Hecke lebt. Paradoxerweise ist es gerade das Licht der Wachstumslampen in einem rechteckigen Arrangement an der Decke, das die Thujen leblos und den Raum um sie herum unnatürlich pink aussehen lässt.

In Wahrheit jedoch versorgen die roten und blauen Lämpchen die Pflanzen mit allen lebensnotwendigen Nährstoffen - in einer Umgebung, in die kein natürliches Tageslicht vordringen kann. Völlig normal könnte dieser Anblick in einem Gewächshaus sein. Doch diese Thujen wachsen nicht in einem Gewächshaus, sondern in der Galerie im Ganserhaus in Wasserburg.

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"Köstler seit 1864" heißt die erste Einzelausstellung, die der Wasserburger Kunstverein AK 68 in diesem Jahr zeigt. Konzipiert und gebaut hat sie die in Berlin lebende Künstlerin Katharina Reich. Alle Materialien - bis auf die Wachstumslampen - stammen aus dem seit drei Generationen bestehenden Gärtnereibetrieb Köstler in Grafing. Deshalb der Titel.

Typisch für Reichs Vorgehen ist es, "in ein System reinzugehen, dort Material zu finden und dieses dann in einen anderen Kontext zu bringen". Damit will sie zeigen, dass "ein Ding immer mehr Dinge sein kann". "Kunst im Kontext" heißt diese Arbeitsweise. Reich, die an der Hochschule in Kassel studiert hat, setzt sich so mit gesellschaftlichen Fragen auseinander, will nicht nur abbilden, sondern im besten Falle auch verändern. Reibungen erzeugen. Konflikte aufdecken. Umdenken befördern.

Reich ist eine kleine, zierliche Frau. Sie redet schnell, entschuldigt sich, dass ihre Haare nicht frisch gewaschen sind, weil sie tags zuvor bis spät in die Nacht Plastikblumentöpfe in den ersten Stock geschleppt hat. Ein bisschen Erde klebt unter den Fingernägeln ihrer feingliedrigen Hände, die sich manchmal gegenseitig zu umarmen scheinen, wenn sie erklärt, wie wichtig es ihr ist, die Menschen zum Nachdenken zu bringen, wie wichtig es gleichzeitig ist, die eigene Geschichte zu verarbeiten.

30 Jahre ist Katharina Reich jung, sie lebt in Deutschland, seit sie sieben ist. "Ihre besten Erinnerungen" stammen allerdings aus Westsibirien, wo sie die ersten Jahre ihres Lebens verbracht hat. 1995 zogen ihre Eltern, "sogenannte Russlanddeutsche", in den Osten Deutschlands. Auch Reich selbst kam also von einem System in ein anderes. Sammelte schon früh Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit, Armut, Identitätssuche. Auch in der Ausstellung in Wasserburg sind diese Themen zu finden. Besonders ihr Vater.

Hinter den Thujenbeeten, die Reich absichtlich in den beiden dunkelsten Räumen des Ganserhauses gepflanzt hat, hängt ein kleiner Bildschirm an der Wand. Flimmerndes Blau inmitten des Pinks. In Endlosschleife läuft ein verblasstes Video aus der Zeit des Tschetschenienkriegs in den 90er Jahren. Ein junger russischer Soldat singt, umringt von seinen Kameraden, auf einem freien Feld mit eindrucksvoller Stimme ein schmerzhaft schönes Lied. Auch Reichs Vater hatte eine Gitarre, auch er war Soldat in der russischen Armee während dieses Kriegs. Musikanten genossen im Militär ein gewisses Ansehen, erzählt Reich, und auch wenn der Mann auf dem Video nicht ihr Vater ist, symbolisiert das Lied für sie etwas "Heilendes".

Durch die Verbindung mit dem Video wird eine von vielen Ebenen in der Ausstellung eröffnet. Die Pflanzen könnten Soldaten symbolisieren, stehen stramm in Reih und Glied, aber ohne Kopf, denn die Künstlerin hat sie zugeschnitten. "Was natürlich auch wieder mehrere Bedeutungen haben kann", sagt sie. Denn der augenscheinliche Akt der Gewalt, einer Hinrichtung gleich, gebe den Pflanzen Kraft zu neuem Wachstum. "Obwohl sie tot aussehen", Reich zückt eine Taschenlampe, um sie auf die Zweige zu richten, "sind sie eigentlich grün und gesund."

Auch der Vorsitzende des AK 68, Dominic Hausmann, betont die Vielschichtigkeit, die Reich in die Räume des Ganserhauses gebaut hat. "Es ist total beeindruckend, wie professionell Katharina auf den Raum eingegangen ist und es geschafft hat, Vieles auf das Wesentliche einzudampfen", sagt er. Beispielsweise im kleinen Erkerzimmer im ersten Stock: Eine einzige Stele aus schwarzen Plastikblumentöpfen füllt den Raum. Ein krasser Gegensatz zum Zimmer davor, in dem ein ganzer Wald aus Blumentopfsäulen und Erde durchquert werden muss.

"Das muss man als Betrachter erst einmal aushalten", sagt Reich und betrachtet ihr Kunstwerk. Eine beachtliche Angst vor dem leeren Raum beobachte sie oft bei Ausstellungsbesuchern. Aber das mache nichts, sagt sie. Unangenehme Gefühle seien nicht schlecht. Auch Unverständlichkeit nicht, denn dann beginne die individuelle Auseinandersetzung mit Kunst.

Auch diese Stele ist nicht nur ein Ding, sondern mehrere. Die Besucher der Ausstellung umrunden sie, scheinen nachzudenken. Rakete, Feuerwerkskörper, Wasserhydrant, Phallus: All diese Begriffe werden geraunt. "Und gleichzeitig sind es einfach Blumentöpfe", sagt Reich und lacht.

Für die Pflanzen und die Zusammenarbeit mit der Gärtnerei hat Reich sich entschieden, als sie im Dezember zum ersten Mal nach Wasserburg kam. "Mir ist aufgefallen, dass es hier aufgrund der Lage auf der Inn-Halbinsel kaum Platz für Anbauflächen gibt", sagt sie. Deshalb wollte sie sich mit alternativen Möglichkeiten auseinandersetzen, Pflanzen zu kultivieren.

Weitergesponnen könnte diese Suche relevant sein für das Fortbestehen der Menschheit. So gesehen sind die Wachstumsleuchten im Ganserhaus ein vielversprechendes Konzept, das sich im besten Falle nicht nur tief in die Augen, sondern auch in die Gemüter der Besucher eingräbt.

Ausstellung "Köstler seit 1864" von Katharina Reich in der Galerie Ganserhaus in Wasserburg, zu sehen bis 8. April, geöffnet donnerstags bis sonntags jeweils von 14 bis 19 Uhr.

© SZ vom 28.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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