Ende des Zweiten Weltkriegs:Die Kapitulation von Haar

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Am 5. Mai 1945 unterzeichnet der deutsche General Hermann Foertsch die bedingungslose Kapitulation seiner Heeresgruppe. Verhandelt wird im Thorak-Atelier in Baldham - unterschrieben wurde das Dokument aber angeblich in Haar.

Von Bernhard Lohr, Haar/Baldham

General Hermann Foertsch war seiner letzten Illusion schnell beraubt. Ende April 1945 hatte der Oberbefehlshaber der 1. Armee noch versucht, die amerikanischen Einheiten an der Donau aufzuhalten. Nun saß der deutsche Militär am 5. Mai 1945 dem US-General Jacob L. Devers gegenüber und gab sich erneut unnachgiebig. Er hoffte, einen Waffenstillstand aushandeln zu können. Doch den Verlauf der Gespräche im sogenannten Thorak-Atelier in Baldham diktierte sein Gegenüber. Foertsch unterzeichnete am 5. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der Heeresgruppe G. Tags darauf war für Zehntausende Soldaten in Süddeutschland der Krieg beendet.

Es waren in den an historischen Ereignissen so reichen letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs bedeutsame Verhandlungen, die sich in dem damals nur aus wenigen Gebäuden bestehenden Baldham abspielten. Der von Adolf Hitler verehrte Bildhauer Josef Thorak hatte dort sein Atelier, und in dessen monumentalen Räumen trafen die Kriegsgegner aufeinander. Was geschah, ist relativ gut dokumentiert.

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Der Historiker Klaus-Dietmar Henke beschreibt in seinem Buch "Die amerikanische Besetzung Deutschlands", wie sich Foertsch "in militärischer Haltung" schließlich in das Unvermeidliche fügte. "Es dauerte eine volle Minute, bis er etwas sagte. Der Mann stand offensichtlich unter der Wirkung eines Gefühls der heftigsten Art. Schließlich beugte er leicht seinen Kopf, errötete etwas und erwiderte: ,Ich verstehe. Ich habe keine Wahl. Ich habe nicht die Macht, etwas anderes zu tun.'" Diese Einsicht mag Foertsch im Thorak-Atelier in Baldham gekommen sein.

Ob er dort auch die Unterschrift unter die Kapitulationsurkunde setzte, gilt heute trotz aller Aufzeichnungen und trotz vordergründiger Evidenz noch nicht als letztgültig geklärt. Das im Bundesarchiv aufbewahrte Papier führt neben Foertschs Signatur als Ort der Unterzeichnung "Haar". Als "Kapitulation von München-Haar" ist das Ereignis darum dann später auch in die Geschichtsbücher eingegangen. Doch es gibt auch Zweifel. Warum sollten die Militärs, in Zeiten, in denen jede Stunde zählt, zur Unterzeichnung eines Papiers den Ort wechseln? Kann es nicht sein, dass man einfach die nächstgelegene Gemeinde als offiziellen Ort der Kapitulation angegeben hat?

Bernhard Schäfer, Historiker und Leiter des Museums der Stadt Grafing, hat sich mit dem Kriegsende im Osten von München intensiv beschäftigt. Er kennt die Debatten in der Historikerzunft, in der unter anderem auch Uneinigkeit darüber herrscht, warum die Kapitulation am 5. Mai unterzeichnet worden sein soll, bei Inkrafttreten am 6. Mai, 12 Uhr. Filmaufnahmen zeigten, wie die Verhandlungsdelegationen zwei Mal vor dem Thorak-Atelier vorfahren, sagt Schäfer. Womöglich habe man sich nach Haar begeben und sei zurückgekehrt. Dennoch: Was hätte das für einen Sinn? Vor allem: Warum sollten Deutsche und Amerikaner nach Unterzeichnung der Urkunde gemeinsam an den Verhandlungsort zurückkehren?

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Tatsächlich spricht auch aus Schäfers Sicht vieles dafür, dass die Unterzeichnung in Haar stattfand. Ein Zeitzeuge, ein an den Verhandlungen beteiligter Dolmetscher, hat laut Schäfer berichtet, dass das ehemalige HJ-Heim der historisch korrekte Ort sei. Die Haarer Chronik zitiert einen Hauptmann Hans-Otto Berendt, der die "eisige Stimmung" in der Halle des HJ-Heims beschreibt, die in dem Moment der Unterzeichnung geherrscht habe. Horst Wiedemann ist zwar kein Zeitzeuge. Aber er ist als langjähriger Haarer Gemeinderat in der Ortsgeschichte bestens bewandert. Für ihn ist das historische Ereignis im HJ-Heim "nicht umstritten".

Auch wenn Zweifel am Ort der Unterzeichnung bleiben: Zeitzeugen berichten, dass die deutschen und die US-amerikanischen Befehlshaber während der Verhandlungen in Haar waren. Sie wurden nicht im HJ-Heim gesehen, doch am gar nicht weit entfernten "Gasthof zur Post". Martha H. stand an einem Nachmittag Anfang Mai 1945 als 25 Jahre alte Frau mit anderen Haarern vor dem Gasthof, weil sich viele Nachricht darüber erhofften, wann sie wieder in die von US-Soldaten belegten Häuser zurückkehren könnten. Ihre Familie habe im Rathaus campiert, erzählt die heute 95-Jährige und berichtet, wie damals Generäle den Gasthof verlassen hätten.

Sie hat deutlich den niedergeschlagen wirkenden deutschen Befehlshaber vor Augen, der den Wartenden zugerufen habe: "Der Krieg ist aus!" Die Kunde von einer Kapitulation habe die Runde gemacht. Ein des Deutschen mächtiger US-Soldat habe das, soweit sie wisse, verbreitet. Als das Kriegsende schließlich besiegelt war, erlebten die Haarer, wie die GIs im "Gasthof zur Post" feierten. Ein Zeitzeuge hat Wiedemann auch erzählt, wie er am Fenster lauschte und neue Klänge vernahm. "Die haben anständig gefeiert", berichtet Wiedemann. Es lief Jazz-Musik und Swing, von Louis Armstrong und Glenn Miller. Der Krieg war definitiv vorbei.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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