Grafing:Senioren verlieren ihr Zuhause

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Eigentlich waren ihnen neue Sozialwohnungen versprochen - doch jetzt müssen mehrere Grafinger ihr Stadtviertel verlassen.

Von Thorsten Rienth

Die Waschbetonplatten im Hauseingang sind abgewetzt, die Fenster im Treppenhaus milchig. In der Wohnung hängt noch Blümchentapete. Die 86-jährige Bewohnerin ist hier seit fast 50 Jahren zu Hause - noch. Denn ihre Sozialwohnung an der Wasserburger Straße in Grafing soll abgerissen werden, hier wird bald neu gebaut. Eigentlich sollten sie und acht weitere Senioren gemeinsam nebenan in ein neues Haus ziehen. Doch dessen Bau verzögert sich. Grafing will die Senioren deshalb auf das gesamte Stadtgebiet verteilen. Die über 80-Jährigen wollen das verhindern.

Haus für Haus sollte an der Wasserburger Straße abgerissen und neu gebaut werden. Doch während die Kündigungen für den zweiten Bauabschnitt verschickt sind, ist der Bau des ersten Hauses ins Stocken geraten. (Foto: EBE)

Der Plan der Stadt Grafing klang durchdacht und eigentlich ganz einfach: Die Sozialwohnungen werden nacheinander abgerissen und neu gebaut. Ist das erste Haus fertig, ziehen die Bewohner dort ein. Dann rücken die Bagger bei den verbleibenden Häusern an. Inzwischen ist das erste Haus abgerissen und der Boden planiert. Doch der Weiterbau wurde vorerst gestoppt. Man habe mit der neuen Holzbauweise leider noch wenig Erfahrung, heißt es bei der zuständigen Wohnungsbaugenossenschaft Ebersberg. "Der Holzbau liegt deutlich über dem kalkulierten Kostenrahmen", sagt der Grafinger Bürgermeister Rudolf Heiler (Freie Wähler). Beide bestätigen, dass sich die Fertigstellung verzögert. Wie lange, ist unklar. "Genau kann man das noch nicht sagen", erklärt Heiler. Kurz: Der gute Plan fällt in sich zusammen.

Denn einfach in ihren Wohnungen warten können die Senioren nicht. Für den Abriss und den Neubau der nächsten Häuser ist nämlich eine andere Baugenossenschaft zuständig. Die will ihren Zeitplan einhalten und loslegen. "Die Kündigungen haben wir von der Stadt schon bekommen", sagt die 86-Jährige. "Zum 30. April 2012 sollen wir hier weg." Statt wie gedacht gemeinsam ins Haus nebenan zu ziehen, sollen sie nun alle auf das gesamte Stadtgebiet verteilt werden. Daraus macht Bürgermeister Heiler kein Geheimnis. Ja, man habe versucht, die Senioren "für barrierefreie neue Wohnungen der Genossenschaft zu gewinnen", erklärte er. Die Senioren aber sträuben sich. Ein Rentner, der ebenfalls in den Sozialwohnungen lebt, erklärt wieso: "Die wollen mir eine Einzimmerwohnung geben, hier habe ich zwei - und meine Nachbarn." Es sei ihm sogar vorgeschlagen worden, "ins Altersheim zu gehen". Solange er könne, werde er sich gegen beides wehren. "Wir kennen uns gut, ich will hier bleiben" - oder mit den anderen nebenan einziehen. Sie alle wollten das.

In einem gemeinsamen Brief hätten sie der Stadt geschrieben, "dass das so nicht geht". Das ist auch im Stadtrat den meisten klar. Am Dienstag sprach die CSU-Stadträtin Anja Walz das Dilemma im Bauausschuss an und bat Heiler um Aufklärung. Das betreffe die Verträge zwischen Stadt und Genossenschaft, sagte er. "Da kann ich doch in der öffentlichen Sitzung nichts Konkretes sagen", bat er um Verständnis. Zumindest was das weitere Vorgehen angeht, wurde Heiler auf SZ-Nachfrage konkreter: "Wir untersuchen gerade auf dem Gesprächs- und Verhandlungsweg, wie wir alle Interessen unter einen Hut bringen können." Er sei jedenfalls "zuversichtlich, dass sich eine Lösung für die Mieter wie auch für die Wohnungsbaugenossenschaft ergibt".

Inzwischen steigt auch im Stadtrat der Druck, eine Lösung zu finden, bei der die Senioren wie geplant in ihrer Nachbarschaft zusammenbleiben können. Vorsorglich wies die CSU-Stadträtin nach der Sitzung auf einen nicht irrelevanten Zusammenhang hin: Man hatte den Neubauten ohnehin nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die Senioren gerade nicht aufs gesamte Stadtgebiet verteilt würden. Auch aus den anderen Faktionen waren gestern solche Hinweise zu hören.

© SZ vom 29.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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