Bundestagswahl in Ebersberg:Nicht schön, aber ein Lebenselixier für die Demokratie

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Unser geflüchteter Autor saß im Publikum, als ein Mann aufstand und Kritik an Flüchtlingen äußerte. Wie er diese und andere Szenen des Ebersberger Bundestagskandidaten-Check erlebt hat.

Von Olaleye Akintola, Ebersberg

Am Anfang kamen mir diese jungen Leute wie übereifrige Rekruten vor, wenn sie das erste Mal antreten, so selbstbewusst erklommen Anna-Maria Lanzinger und Lukas Schmid das Podium. Vor ihnen hatte das Volk Platz genommen, die Männer und Frauen drängten sich bis in die Winkel dieses Saals, der nicht nur so heißt, sondern auch wie ein altes Kino aussieht. Es war wie ein Theater, das am Donnerstag in Ebersberg zu sehen war, ein Theater, bei dem es um Politik ging und bei dem die Gäste mitreden durften, im Saal und am PC. So ist das mit den Theaterstücken dieser Zeit.

Ich hätte mir keinen treffenderen Ort vorstellen können, denn für mich ist Politik immer wie Filmemacherei gewesen: die Suche nach dem besten Skript, nach Schauspielern, die es überzeugend spielen und Maske und Kostüm authentisch zur Schau stellen. Nigerianische Politiker beherrschen diese Gabe teuflisch gut, sie sind Genies darin, Versprechen als ehrliche Visionen zu verkaufen und dann nach der Wahl Rückzieher zu machen. Jeder weiß das, und doch schaffen sie es in Nigeria nicht, dem ein Ende zu bereiten.

Auch in Ebersberg war die Bühne für ein Schauspiel bereitet, doch was sich hier abspielte, war nicht geschminkt. Kein Make-Up, keine Kostüme, der einzige Film lief über den Facebook-Livestream meiner Kollegen. Und dieser Film war deutlich echter als das, was ich aus dem nigerianischen Wahlkampf kannte - und überraschend anders.

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Drei Generationen saßen da im Licht der Scheinwerfer. Ein linker Teenager und eine Gerade-Nicht-Mehr-Teenagerin, politisch grün und grün-blau in der Haartracht. Andi Lenz, ein 36-jähriger Schwarzer, saß direkt vor mir, dem 34-jährigen Schwarzen. Nur Ewald Schurer von der SPD und FDP-Kandidat Peter Pernsteiner erinnerten mich vom Alter an Aspiranten, wie ich sie in meiner früheren Heimat kannte.

Respekt an Lukas Schmid, der dort oben saß und mich an Alexander den Großen erinnerte, der in jungen Jahren beinahe die Welt eroberte. Schmid hat sicher keine kriegerischen Ambitionen, doch er ließ sich nicht unterkriegen - er tat seine Meinung kund - und die Älteren ließen ihn ausreden, den Jungspund. Schmid und Lanzinger, ein 19-Jähriger und eine 21-Jährige? Bis zu diesem Abend hätte ich sie nicht ernst genommen. In Nigeria kann man in diesem Alter politisch nur etwas reißen, wenn man altgediente politische Gönner hat, die einem die Peanuts ihrer Korruptions-Erträge zuwerfen. Ernsthafte junge Politiker wie Schmid und Lanzinger hätten in Nigeria wohl wenig zu melden. Hier durften die Jüngsten hingegen sogar vor den alten Hasen antworten.

Das Publikum war erfrischend und ehrlich, nicht so inszeniert wie die bezahlten Zuschauer, die nigerianische Politiker für ihre Veranstaltungen buchen. Im Alten Kino gab es schon den ein oder anderen Zwischenruf, wenn jemandem etwas nicht so gefiel. Ein Mann kritisierte Flüchtlinge hier in Bayern, und auch wenn das auch mir nicht gefiel, so ist der Austausch doch ein Lebenselixier für die Demokratie in diesem Land.

Übersetzung aus dem Englischen von Korbinian Eisenberger. Alle Texte der SZ-Reihe "Neue Heimat" finden sie hier.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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