Ebersberg:Graue Haare, leere Taschen

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Im Landkreis sind immer mehr Senioren und vor allem Seniorinnen von Sozialhilfe abhängig. Viele von ihnen bessern ihre Rente durch Teilzeit- und Minijobs auf

Von Anselm Schindler, Ebersberg

In den Großstädten hat man sich bereits daran gewöhnt. Dass Senioren vor öffentlichen Mülleimern stehen und Pfandflaschen herausfischen. Oder die Hand aufhalten für ein bisschen Kleingeld. Im Landkreis passt diese Szene nicht ins Bild, doch die Altersarmut, sie existiert trotzdem, weiß Andreas Bohnert, Kreisgeschäftsführer der Caritas. "Und sie nimmt zu, auch, wenn hier kaum darüber gesprochen wird", wie Bohnert moniert. Die Zahlen jedenfalls geben ihm recht: 418 Menschen im Landkreis erhielten im vergangenen Jahr Grundsicherung im Alter weil ihre Rente nicht zum Leben ausreichte, das geht aus Daten des Statistischen Landesamtes hervor.

Die Zahl der von Grundsicherung abhängigen Rentner hat sich im Landkreis damit verdoppelt - und das innerhalb von zehn Jahren. Vor fünf Jahren, also 2011, kletterte sie über die 300er Marke, im vergangenen Jahr waren es dann schon mehr als 400. Betroffen sind überdurchschnittlich oft Frauen, 2014 waren im Landkreis 217 Frauen von der Grundsicherung im Alter abhängig, bei den Männern waren es knapp 150. "Frauen verdienen weniger, sie arbeiten öfter im Niedriglohnbereich und zahlen deshalb im Schnitt weniger in die Rentenkasse ein. Das hängt auch damit zusammen, dass sie wegen der Kindererziehung im Schnitt einige Jahre weniger arbeiten". So erklärt Gabriele Lang den Umstand, dass Frauen öfter von Altersarmut betroffen sind.

Lang arbeitet als Verwaltungsangestellte in der Ebersberger Abteilung des Sozialverbandes VdK, für sie sind die von Armut betroffenen Rentner mehr als Zahlen in der Statistik, sie hat fast täglich mit diesen Menschen zu tun. Oft seien Frauen auch finanziell stark von ihren Partnern abhängig, sagt Lang, "wenn die sich dann scheiden lassen und die Unterhaltsansprüche auch noch gering sind, dann sieht es schlecht aus". Und so steigen mit den Scheidungsraten auch die Armutsraten der Seniorinnen.

7,5 Prozent der über 65-Jährigen im Landkreis arbeiten noch

Wo Altersarmut zunimmt, da müssen auch immer mehr Senioren arbeiten, um über die Runden zu kommen. Die Statistik der Ebersberger Arbeitsagentur zeigt: 7,5 Prozent der über 65-jährigen Menschen im Landkreis bessern ihre Rente mit Nebenjobs auf. Klar ist zwar auch: Viele Rentner arbeiten freiwillig, nicht aus finanzieller Not heraus. Den drastischen Anstieg der sozialversicherungspflichtig angestellten Senioren aber erklärt das nicht. Um zwölf Prozent stieg die Zahl der über 65-jährigen Ebersberger, die Voll- oder Teilzeit arbeiten im vergangenen Jahr. 375 waren es im Herbst 2015 - aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Im September des Vorjahres waren es 334. Der Großteil der arbeitenden Rentner ist allerdings im Bereich Minijobs tätig, mit mehr als 1500 waren im vergangenen Jahr immerhin 13 Prozent der Minijobber über 65 Jahre alt.

Sozialverbände und Gewerkschaften warnen bereits seit Jahren vor steigender Altersarmut. Auch der Mindestlohn schütze davor nicht, betont Gewerkschafter Daniel Fitsch, der als DGB-Regionssekretär neben den Kreisen Freising, Erding und Fürstenfeldbruck auch für Ebersberg zuständig ist. Gerade im Raum München reiche ein Stundenlohn von 8,50 Euro nicht für eine Rente über Grundsicherungsniveau aus. Neben zu niedrigen Löhnen sieht der Deutsche Gewerkschaftsbund vor allem prekäre Beschäftigungsverhältnisse als Faktor, der die Altersarmut wohl weiter steigen lassen wird. Als prekäre Beschäftigung gelten beispielsweise Minijobs, Leih- oder Zeitarbeit.

Für die Gewerkschaften sind die Rentenreformen das Problem

Schuld an der Misere trügen vor allem die Rentenreformen der vergangenen Jahre, kritisiert Fitsch: Die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus auf rund 43 Prozent bis 2030 müsse zurückgenommen werden, fordert der DGB, genau wie die Rente mit 67. Sie stelle für viele Versicherten de facto eine Rentenkürzung dar, da man in vielen Bereichen gar nicht bis 67 arbeiten könne, bekräftigt das Fitsch.

Die Riester-Rente, die die Kürzungen auffangen sollte, befindet Fitsch als "weitestgehend gescheitert". Weder würden die versprochenen Rendite-Ziele erreicht, noch gelange die Riester-Rente zu denen die sie am nötigsten bräuchten. Es sei sinnvoller, sagt der Gewerkschafter, die staatliche Riester-Förderung direkt in die gesetzliche Rente fließen zu lassen. So will es der DGB und so fordern es auch viele Experten. Am Geld jedenfalls könne die Absicherung im Alter nicht scheitern, ist Fitsch überzeugt: "Angesichts der guten Wirtschaftslage und der Rekordzahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist jetzt ein guter Zeitpunkt für die Politik bei der Rente gegenzusteuern".

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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