Bühne:Gesundheit!

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Jetzt wird's blutig, Anfänger-Arzt Leo Scheller sucht bei Patientin Anna Seiler die richtige Stelle zum Zustechen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit Tempo, Witz und Überraschungen antwortet die neue Revue des Theatervereins Markt Schwaben auf alte Schwächen im System

Von Ulrich Pfaffenberger, Markt Schwaben

Kaum haben wir die erste Arbeitswoche ohne größere Infektionen und Gebrechen überstanden, verpasst uns der Theaterverein Markt Schwaben eine Radikalkur: Mit der "Gesundheitsrevue" kredenzt das Bühnenvolk um Regisseurin Marga Kappl einen szenischen Cocktail, der Gänsehaut verursacht, Kopfzerbrechen bereitet, Gesunde wie Kranke kräftig durchschüttelt und gelegentlich das Zwerchfell reizt. Weit davon entfernt, "Skandal" zu rufen, gehen die 33 Nummern des zweistündigen Programms an den Nerv eines Systems, mit dem man sich vielleicht arrangieren, aber nicht mehr anfreunden kann.

Unerklärliche Wartezeiten, irregeleitete Kommunikation, überforderte Menschen: Die Grundübel des Gesundheitswesens brauchen keine Sedativa und Schönheitsoperationen, sondern eine Rückbesinnung auf den gesunden Menschenverstand. Hilfreich, so der therapeutische Hinweis bei der Premiere am Samstagabend in der Theaterhalle am Burgerfeld: einen Schritt zurücktreten, sich die Dinge mal genau ansehen und dann motiviert die Veränderung beginnen. Genau die Stimmung also, in die einen eine gelungene Revue versetzt.

Diesem Anspruch werden die Schwabener rundum und durchgängig gerecht. Das gemischte Ensemble aus Mitgliedern der Jungen Bühne wie bewährten Weiher-Spielern geht munter und entschlossen zu Werk, spielt mit Witz und Tempo, vereint Persönlichkeit und Rolle. Geschickt nutzt die Regie die individuellen Talente, um Lichter und Spitzen zu setzen - große Klasse, wie sich Marga Kappl als Spielleiterin und Autorin in Personalunion dieser Chance bedient. Einen zusätzlichen Gewinn bedeuten die unterschiedlichen Erzählebenen. Momente sachlicher Darstellung wechseln sich mit lebhaft-dramatischen Szenen ab, Chöre und Choreografien kontrastieren mit angeregten Dialogen.

Zwei Beispiele dafür, wie es dieser Revue immer wieder gelingt, mit Unvorhersehbarem zu überraschen und Absurditäten auf die Spitze zu jagen. Einen Auftritt von mephistofelischer Durchtriebenheit liefert im grünsamtenen Spiderman-Anzug der "Krankenhauskeim". Fies und geschmeidig, arrogant und durchtrieben schlängelt er sich über die Bühne, zischt seinen vernichtenden Fluch ins Dunkel unserer Ängste. Eines jener polarisierenden Elemente, von denen eine Nummernrevue lebt. Genauso wie vom Gegenstück, dem mit wildem Gebrüll und kreisendem Baseball-Schläger über die Bühne tobenden Nierensteinzertrümmerer, der sich auf seine eben noch im lässigen Rock 'n' Roll dahintanzenden Opfer stürzt.

Hier zeigt sich der Unterschied zwischen einem Bunten Abend mit heiteren Sketchen und einer durchdachten Komposition von Reizen für die Sinne des Publikums. Wo auch Platz ist für Überraschungen. Insbesondere bei den gesungenen Solonummern: Annegret Czapek, Julia Zschauer und Franz Hermannsgabner gelingen zusammen mit dem gekonnt improvisierenden Christian Kappl am Klavier Auftritte von umwerfender Varieté-Qualität, die das gut aufgelegte Publikum im vollen Haus mit einer Extradosis Applaus honoriert.

Kappl und ihr Team beweisen mit der aktuellen Inszenierung einmal mehr, wie sehr ihnen das Revue-Format liegt. Anders als bei den vorherigen Stücken haben sie sich dabei nicht eine vergangene Epoche vorgenommen, sondern ein aktuelles gesellschaftliches Thema, das sich angesichts seiner Vielschichtigkeit eben auch bestens dafür eignet, in viele Puzzleteile zerlegt und anschließend wieder zusammengefügt zu werden. Indem die Autorin episodenhaft vorgeht, genügt es ihr, die einzelnen Aspekte einfach kurz anzudeuten, um die ganze Gedankenwelt ihres Publikums in Bewegung zu versetzen.

Als Erzählerin darf Kappl zuspitzen, was das Zeug hält und was die Geschichten tief ins Bewusstsein einbrennt: Die Patientin, die in "der Röhre" vergessen wird, weckt schlimmste Ängste in jedem Einzelnen. Sie wird zum Sinnbild für die gestörte Mensch-Maschine-Schnittstelle im Gesundheitswesen. Der Huldigungs-Choral an den Chefarzt, der während der anschließenden OP die Assistenten an seiner Erfahrung über bereisenswerte Regionen der Welt teilhaben lässt, adressiert klischee-getragen, gleichwohl eindringlich die andere gestörte Schnittstelle im klinisch-industriellen Betrieb: die von Mensch zu Mensch. Wo es an Personal mangelt, fehlt es an Zeit und Kraft für die Menschlichkeit, so die Botschaft der Gesundheitsrevue, die nicht mit Vorurteilen hausieren geht, sondern belastbare Diagnosen stellt - auch in Richtung von Patienten, die ihren Arzt mit Internetbefunden quälen und die Nachtschwester zum Kissenaufschütteln einbestellen. Weshalb am Ende allen klar ist: Es kommt auf den feinen Unterschied an, ob man "etwas hat" oder ob einem "etwas fehlt".

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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