Außergewöhnliche Spendenaktion:Eine Elfjährige hilft Slum-Kindern

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Ihr Vater war schon als Zivi in Chile - jetzt hat Sophia aus Zorneding ihn in die Elendsviertel begleitet.

Naomi Alcaide

Zorneding - Manche Menschen beruhigen ihr Gewissen mit einer Wechselgeldspende an der Mc Donalds-Kasse. Anderen ist das nicht genug. Einer von ihnen ist Philipp Müller (34). Seit er sich vor 15 Jahren dazu entschied hatte, seinen Zivildienst nicht im örtlichen Altersheim, sondern in einem Armenviertel in Chile zu leisten, ist ihm klar, wie viel einzelne Menschen bewegen und verändern können. Während seiner Zeit in Coronel, einer Industrie- und Hafenstadt im mittleren Chile, lernte der Zornedinger nicht nur fließend Spanisch, sondern schloss auch Freundschaften fürs Leben. In den folgenden Jahren brach er immer wieder aus dem heimischen Oberbayern auf, um seine zweite Heimat am anderen Ende der Welt zu besuchen.

Als die Region um Coronel im Februar 2010 von schweren Erdbeben heimgesucht wurde, beschloss er zu helfen. Und weil Spendenaktionen häufig undurchsichtig sind und Müller sichergehen wollte, dass das Geld auch da ankommt, wo es gebraucht wird, machte er sich selber auf den Weg. Als Musiklehrer an der privaten Pestalozzi-Realschule in München initiierte er Spendenläufe, Benefizkonzerte und nahm mit seinen Schülern eine CD mit dem Titel "Heal the world" auf, zu Deutsch: Heile die Welt. Müller verkaufte sie zu verschiedenen Anlässen. Mit dem Erlös von 11000 Euro flog er schließlich auf eigene Kosten nach Chile, wo er mit seinen Freunden und in Kooperation mit chilenischen Behörden Familien in La Colonia, dem ärmsten Viertel Coronels, unterstützte.

Zurück im heimischen Zorneding war ihm klar, dass er zwar viel für die einzelnen Menschen getan hatte, es aber immer noch "unendlich viel" zu tun gibt. Also ging es weiter. Mit der fleißigen Unterstützung von Tochter Sophia sammelte Philipp Müller erneut, bis im Februar weitere 8000 Euro zusammen waren. Als Dankeschön für ihre Unterstützung nahm Philipp Müller seine Tochter mit nach Chile, wo beide dieses Mal vor allem Familien und Aidskranke besuchten. Auch wenn der Aufenthalt in den Slums keinerlei Ähnlichkeit mit einem Kluburlaub hatte, war die Elfjährige doch begeistert.

Um ihre Eigeninitiative zu fördern, bekam sie von ihrem Vater 300 Euro zur "freien Verfügung." Sie sollte selbst herausfinden, welchen Menschen sie wie helfen kann und es so selbständig tun. In Begleitung einer neuen Freundin erkundigte sich die Fünftklässlerin, wo Hilfe besonders dringend benötigt wurde, und verwendete das Geld, um für alte, gehbehinderte Menschen Krückstöcke, Rollstühle, Matratzen und andere Alltagshilfen zu kaufen.

Stolz zeigt sie Fotos von der Arbeit, die sie und ihr Vater geleistet haben. In einem deutschen Wohnzimmer sitzend, umgeben von einem Heile-Welt-Gefühl, wirken die Bilder von Familien, die in Wellblechhütten ohne sanitäre Einrichtungen leben, und von alten Menschen, die auf Matratzen aus Schimmel und Fäulnis liegen, surreal und sehr weit weg. Gerade deswegen, betont Philipp Müller, sei es besonders wichtig, schon Kinder auf das Elend aufmerksam zu machen.

Angst um seine Tochter habe er nicht gehabt, sagt Vater Philipp. Er kenne schließlich die Familien und vertraut ihnen: "Wir haben uns nie verloren oder bedroht gefühlt, weil wir keine Fremden sind." Auch Sophia spricht von einer "tollen Zeit". Am schlimmsten sei es für sie gewesen, das Leid der Straßenhunde ansehen zu müssen. Denen habe man auch mit Geld nicht helfen können. Dass sie in den Slums und Armenviertel viel Elend sah, hat sie erst im Flugzeug realisiert. Dort musste sie mit Tränen kämpfen, weil sie ihre neu gewonnenen Freunde zurücklassen musste.

Hat sie die Armut erschüttert? "Die Leute sind nicht in jeder Hinsicht ärmer als wir", sagt Sophia nachdenklich. "Sie haben viel mehr Zeit und das Leben ist viel gemeinschaftlicher als bei uns." In diesem Moment wirkt sie sehr reif für ihre elf Jahre.

Auch wenn Vater und Tochter sich manchmal nach Chile sehnen, sie leben lieber in Deutschland. Auch weil ihnen der Alltag hier ermöglicht, den Freunden in der Ferne helfen zu können. So hat Philipp Müller bei ihrem diesjährigen Besuch eine Kooperation mit einer Behindertenschule abgeschlossen. Für diese hat er in Zusammenarbeit mit seiner Schule den Bau eines Gewächshauses finanziert, um den geistig und körperlich Behinderten eine praktische Ausbildung in einem Handwerk zu ermöglichen, das ihnen später eventuell die Perspektive auf einen Arbeitsplatz bietet.

Auch in diesem Jahr werden Philipp Müller und seine Tochter Sophia wieder einige Spendenaktionen veranstalten, um Geld zu sammeln für ihre Freunde und Bekannten in Chile. Und Sophia hofft, dass wieder genügend Geld zusammenkommt, um im nächsten Jahr "rüber zu fliegen, um Familien helfen zu können." Und natürlich hofft sie, ihre Freundin möglichst bald wiedersehen zu können. "Denn E-Mails schreiben ist halt einfach nicht das gleiche."

Wer Philipp und Sophia Müller unterstützen möchte, findet Fotos, Informationen und Kontaktdaten auf der Homepage des Projekts: www.chilehilfe.blog.de.

© SZ vom 24.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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