Machtwechsel in Dachau:Erklärungsversuche

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Die Dachauer sind von der Abwahl ihres Oberbürgermeisters Peter Bürgel überrascht. Einige bedauern sie, andere hoffen auf neuen Schwung durch den jungen Nachfolger Florian Hartmann von der SPD.

Von Julian Erbersdobler u.a.

Der Wechsel im Dachauer Rathaus ist Gesprächsthema Nummer eins in der Stadt. (Foto: Toni Heigl)

Egal, mit wem man redet, egal, wo man in der Stadt zuhört, überall äußern die Menschen das gleiche Erstaunen über den Wahlausgang in Dachau. Der amtierende Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU) verlor gegen den SPD-Neuling Florian Hartmann, der gerade mal 27 Jahre alt ist. Ein Erklärungsversuch reiht sich an den anderen. Mal wirken sie hilflos "unverständlich", mal werden sie in den unterschiedlichen Charakteren der Konkurrenten gesucht oder in den politischen Herausforderungen, die Bürgel vielleicht nicht gesehen oder nicht angenommen haben soll. Deshalb fragte die Süddeutsche Zeitung in Dachau Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Bürger auf der Straße: Bedauern Sie die Niederlage von Peter Bürgel? Freuen Sie sich über den Erfolg von Florian Hartmann (SPD)? Was erwarten Sie sich vom Nachfolger? Was müsste er dringend tun?

Richard Reisböck, Vorsitzender des TSV Dachau 1865: Ich bin über das Wahlergebnis sehr überrascht. Der TSV Dachau 1865 ist mit seinen Umzugsplänen aber sicher nicht der Auslöser dafür gewesen. Damit haben andere Wahlkampf betrieben. Für Peter Bürgel tut es mir sehr leid, immerhin sind wir Männerfreunde. Wir gratulieren aber auch dem Sieger, wenn du gewinnst, gewinnst du. Wir werden schauen, bald mit dem neuen Oberbürgermeister reden zu können. Dass der TSV umziehen muss, ist unstrittig, das wissen auch alle Parteien - selbst wenn wir schon 13 Jahre lang darauf warten. Und die Umsiedelung ist sicher nicht zum Nachteil der Stadt und auch nicht zum Nachteil der Bürger.

Rudi Scherer, Vorsitzender des ASV Dachau:Wir hatten zu Peter Bürgel immer ein sehr gutes Verhältnis. Er hatte Verständnis für den Sport und hat ihn auch sehr gefördert. Für den ASV wird sich nach dem für mich doch überraschenden Wechsel im Rathaus aber nichts ändern. Ich bin sicher, dass wir auf sachlicher Basis auch mit dem neuen Oberbürgermeister Florian Hartmann sehr konstruktiv zusammenarbeiten werden.

Helmut Burch, 31, Pädagoge aus Dachau: Ich hab mir natürlich die Ergebnisse der ersten Runde angeschaut, und fest damit gerechnet, dass Bürgel wiedergewählt wird. Ihm haben ja nur wenige Prozent gefehlt, um nicht in die Stichwahl zu müssen. Um 19 Uhr hab ich dann auf einem Liveticker gesehen, dass Hartmann vorne liegt. Ich war total überrascht. Aber ich kenne den Hartmann ein bisschen persönlich und freue mich über die Wahl.

Gretel Englmann, Seniorin aus Dachau:

Ich war vom Wahlausgang angenehm überrascht. Damit gerechnet hab ich ehrlich gesagt nicht, aber gewünscht habe ich es mir schon. Bei meiner Wahlentscheidung habe ich einfach meinem Gefühl vertraut. Ich finde, dass mir der Herr Hartmann mit seinem Konzept und seiner Art sehr entgegen kam. Wir haben viele Baustellen, ich hoffe, dass ein Junger sie mit einer guten Mannschaft beheben kann. Unter der Amtszeit vom alten Oberbürgermeister hat sich einfach zu wenig getan.

Susanne Reichl-Wechselbaumer, Erste Vorsitzende der Dachauer Werbegemeinschaft LAD: Ich hätte niemals mit einer Abwahl Bürgels gerechnet. Ich kenne Pit seit vielen Jahren privat, es tut mir leid für ihn. Wir standen immer in gutem Kontakt und ich hielt viel von ihm als Bürgermeister. Trotzdem stehe ich auch Florian Hartmann positiv gegenüber. Ein junger, frischer Mann bringt mit Sicherheit gute Ideen, ich erhoffe mir gerade für Gewerbetreibende einen positiven Effekt, auch was das Thema "Netzwerken" betrifft. Ich wünsche Hartmann viel Glück. Ich bin mir sicher, es wird ihm nicht alles leicht gemacht.

Monika Siebmanns, ehemalige Vorsitzende der Künstlervereinigung Dachau (KVD): Ich bin geplättet. Diese Niederlage habe ich nicht erwartet. Und ich sage ganz offen, dass ich es schade finde, dass Bürgel verloren hat. Während meiner Zeit als Vorsitzende ist die SPD in ihrer Gesamtheit nie offensiv für die moderne bildende Kunst eingetreten. Ausnahmen sind allein die ehemalige Stadträtin Katharina Ernst und der Fraktionssprecher im Stadtrat, Volker C. Koch. Florian Hartmann ist mir als Befürworter moderner Kunst noch kein Begriff. Auf Ausstellungen, Künstlergesprächen oder Vernissagen ist er mir nicht aufgefallen.

Johannes Karl, der neue Vorsitzende der KVD: Ich hoffe, dass Florian Hartmann gerade die junge KVD fördert. Und damit die Tätigkeit von Peter Bürgel fortsetzt. Mir ist klar, dass die junge Kunst manchem sperrig erscheint. Außerdem wünsche ich mir keine Rückkehr zu einer Kulturpolitik, wonach Dachaus Kultur vor allem für Dachauer sein soll. Wir wollen überregional tätig sein und brauchen eine ganz andere Förderung, als Zuschüsse für eine Ausstellung in Dachau.

Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und CSU-Landtagsabgeordneter: Die Abwahl Bürgels ist sehr bedauerlich. Für die Stiftung und die KZ-Gedenkstätten ist das zunächst ein großer Verlust. Mit Bürgel habe ich eine markante, wohltuende und zielführende Zusammenarbeit gepflegt. Ich lasse gerade prüfen, ob Bürgel seinen Sitz im Stiftungsrat behalten kann. Aber meines Erachtens haben in dem Gremium nur die jeweiligen Bürgermeister von Gemeinden mit KZ-Gedenkstätten einen Sitz. Die Arbeit muss weitergehen. Ich werde auf den neuen Oberbürgermeister unvoreingenommen zugehen, da ich ohnehin versuche, die Parteipolitik aus der Stiftungsarbeit herauszuhalten. Es schmerzt mich persönlich schon. Ich habe auch Bürgel in der Wahlnacht eine SMS geschickt und ihm geschrieben, dass mir seine Wahlniederlage leid tut.

Max Mannheimer, Auschwitz-Überlebender, Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees und Ehrenbürger der Stadt Dachau: Ich bedauere Bürgels Abwahl außerordentlich. Er hat in den letzten Jahren das Verhältnis zwischen Stadt und KZ-Gedenkstätte zum Positiven gewendet. Seine Versuche, in Israel eine Partnerstadt zu finden, sind besonders zu loben. Sie mündeten schließlich in eine Partnerschaft zwischen dem Kaplan Medical Center in Rehovot bei Tel Aviv und dem Amperklinikum Dachau. Nicht zu vergessen, die Beziehung Dachaus zu dem französischen Oradour, die Bürgel aufgebaut hat. Er hat auch auf künstlerischer Schiene internationale Kontakte geknüpft. Es ist nicht so leicht, in einer Stadt mit dieser geschichtlichen Belastung Leute für diese Aussöhnungspolitik zu gewinnen. Ich gratuliere Florian Hartmann. Es ist erstaunlich, dass in einer eher konservativen Stadt wie Dachau ein Sozialdemokrat die Wahl gewann. Das liegt vermutlich an der Persönlichkeit dieses jungen Mannes.

Irina Viereck, 36, Erzieherin aus Dachau: Es war mal etwas anderes, ich bin gespannt was daraus wird. Es muss auch nicht zwangsläufig gut werden. Nach dem guten Ergebnis von Hartmann bei der Wahl am 16. März hab ich schon damit gerechnet, dass er es schaffen kann. Die Leute, die nicht SPD oder CSU gewählt haben, haben mehrheitlich Florian Hartmann unterstützt. Jetzt muss man sich einfach überraschen lassen. In der Stadtverwaltung muss aber auf jeden Fall auch etwas passieren.

Beate Roßhuber, 35, Teamassistentin aus Dachau: Wenn ein 27-Jähriger neuer Oberbürgermeister ist, ist das schon eine Überraschung. Ich denke, dass der alte Oberbürgermeister Bürgel einfach da gestanden ist und gesagt hat "Wählt mich" und gemeint hat, dass es reicht. Das reicht aber nicht. Da war im Wahlkampf einfach nicht mehr dahinter. An der Beteiligung liegt es glaub' ich eher nicht, dass er verloren hat. Mit der Stadtverwaltung hat es der Florian Hartmann aber sicher nicht leicht.

Anton Bachmeier, 59, Kaufmann aus Dachau: Ich bin positiv vom Ergebnis überrascht. Man sollte der Jugend einfach auch mal eine Chance geben. Der Oberbürgermeister hat eigentlich nichts falsch gemacht - er hat gar nichts gemacht. Das ist sein größtes Problem. Vielleicht lernt die CSU etwas aus der Niederlage. Vor der Wahl sollten sie das nächste Mal auch ein Programm liefern. Im Stadtrat hat Florian Hartmann sicher keinen leichten Stand, aber ich denke, dass er seine Mehrheit schon finden wird. Da werden ihn auch die anderen Parteien unterstützen.

Peter Fiebig, 29, Großhandelskaufmann aus Dachau: Ich freue mich über den Wahlausgang. Ich finde es gut, wenn frischer Wind aufkommt. Ich bin eigentlich ohnehin nicht so der Befürworter von Peter Bürgel. Aber was er aus der Altstadt mit den Lokalen gemacht hat, finde ich ordentlich. Trotzdem kann ich es auch gut verstehen, dass er vielleicht dafür bestraft worden ist, im Wahlkampf nicht alles gegeben zu haben.

© SZ vom 01.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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