Konzertkritik:Beethovens Oratorium - grandios

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Die Liedertafel Dachau und Dirigent Tobias Hermanutz sind ein Wagnis eingegangen. Es hat sich gelohnt.

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Joseph Haydn feierte 1799 mit seinem Oratorium "Die Schöpfung" und 1802 mit den "Jahreszeiten" Riesenerfolge. Beethoven, der sehr ehrgeizig war und mit Haydn und Mozart, den Großen der Wiener Klassik, gleichziehen und sie noch übertreffen wollte, schrieb 1811 das Werk "Christus am Ölberge" als sein Oratorium. Doch es wurde keines. Es wurde eine Oper. Tobias Hermanutz ist jetzt mit hervorragenden Solisten, dem großen Chor der Liedertafel Dachau und einem von überwiegend jungen Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks eine geradezu beispielgebende Aufführung im Dachauer Schloss gelungen. Das Wagnis, das er und die Liedertafel mit diesem außergewöhnlichen Werk eingegangen sind, hat sich gelohnt.

Christus als Operntenor führt sich mit Rezitativ und einer Bravour-Arie ein und singt im Duett und Terzett. Der Text, den er und die anderen Beteiligten - ein Seraph, Petrus sowie der Chor, der einmal einen Chor der Engel, dann auch einen Chor der Krieger und Chor der Jünger darzustellen hat - singen, stammt aus der Feder eines zu Beethovens Zeit sehr erfolgreichen Opernlibrettisten. Christus befindet sich hier nicht am Ölberg, sondern auf einer Opernbühne. Die Erstaufführung von Beethovens "Christus am Ölberge" fand im richtigen Rahmen statt, nämlich im Theater an der Wien. Das ob seiner Opernhaftigkeit allgemein geschmähte und von den Chören verschmähte Werk in einer vorzüglichen Aufführung zu hören, war dennoch ein großer Genuss, letztlich ein musikalisches Vergnügen, für das man Tobias Hermanutz, der die Aufführung souverän leitete, und der Liedertafel Dachau in besonderer Weise dankbar sein kann.

An die Christus-Worte, die etwa in Bachs Passionen ein Bariton in getragenen Rezitativen würdig singt, darf man hier nicht denken, eher an die drei großen Tenöre Pavarotti, Carreras und Placido Domingo, in deren Repertoire Beethovens Christus-Arie einen Glanzpunkt hätte darstellen können. Aber allen großen Tenören blieb dieses Werk unbekannt. Tobias Hermanutz musste für diese sehr anspruchsvolle Opernpartie einen ausgezeichneten Tenor mit großer und schöner Stimme sowie ausgereifter Gesangstechnik suchen. Er fand ihn in dem überragenden Tenor Johannes An, einem großen, aber in München noch nicht bekannten Opern- und Liedersänger aus Korea. Petrus tritt in Beethovens Ölberg-Oper nur im Duett mit Christus und im Terzett mit Christus und dem Seraph auf, hat also eine kleine Rolle. Doch der mächtige Bariton, mit dem Florian Dengler diese Rolle prächtig ausfüllte, war beeindruckend. Stephanie Bogendörfer, die für die erkrankte Catherina Witting eingesprungen war, schlug sich tapfer und konnte als Seraph mit dem Chor der Engel sowie im Duett und Terzett mit ihrem hellen Sopran durchaus überzeugen.

Herrliche, virtuose Soli

Johann Friedrich Rochlitz, bis 1818 Herausgeber der damals führenden Leipziger "Allgemeinen musikalischen Zeitung", bemerkte schon nach den ersten Aufführungen, die in Beethovens "Christus am Ölberge" geschilderte Gefangennahme Christi sei "komisch". Das sah Beethoven, der sich aber später von seinem Oratoriums-Versuch deutlich distanzierte, nicht ganz so. Der Chor der Liedertafel Dachau hatte aber gerade in diesem komischen Teil der Ölberg-Oper seine großen Auftritte und sang selbst banale Texte wie "Schlagt links den Weg nur ein, er muss ganz nahe sein" im Chor der Krieger auf dem Weg zu Christus herzerfrischend. Im Schlusschor hatte er Engel, Krieger und Jünger gleichzeitig darzustellen, und er löste auch diese Aufgabe mit Bravour.

Grandios spielten die Musiker aus dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Beethoven hat auch in seinem Oratoriumsversuch das Orchester reich bedacht und mit herrlichen, virtuosen Soli vor allem der Bläser ausgestattet. Schon diese Orchestermusik allein ist es wert, sich dieses Werk einmal zu Gemüte zu führen. So unbeschwert, heiter und von der Musik beschwingt wie nach diesem Konzert der Liedertafel hat man das Dachauer Schloss nach einem Konzert mit klassischer Musik wohl noch nie verlassen - nach einem symphonischen Beethoven-Abend und nach einem Passionskonzert schon gar nicht.

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(Foto: Toni Heigl)

Die Sopranistinnen Stephanie Bogendörfer überzeugte.

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(Foto: Toni Heigl)

Ute Elena Hamm mit Tobias Hermanutz vervollständigen das Team des Dirigenten Tobias Hermanutz.

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(Foto: Toni Heigl)

Der Tenor Johannes An beim Passionskonzert der Liedertafel.

Zu Beginn des Abends sang Ute Elena Hamm fünf geistliche Lieder aus dem Schemelli-Gesangbuch von Bach zur sehr farbigen modernen Orchesterbegleitung von Dieter Schnebel. Ab und zu musste der Chor einen schrecklichen Schrei hinauslassen, zu dem die Solistin aufbegehrte. Damit markierte Schnebel seine Bearbeitung als moderne Komposition. Die Berliner Philharmoniker, in deren Auftrag dieses Werk Anfang der 1980er Jahre entstanden ist, haben es nicht aufgeführt. In Dachau erklang es als Beitrag zum Luther-Jahr. Tobias Hermanutz hat mit einer Arbeit über Chormusik der Avantgarde promoviert.

© SZ vom 14.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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