Internationaler Jazzherbst Dachau:New Yorker Gewitter

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New York ist zu klein geworden für die Jazzszene der Freien Musik. Zum Glück hat der Dachauer Jazzverein noch einen Auftrittsort für drei großartige Musiker aus New York gefunden.

Wolfgang Eitler

Als Axel Blanz, Programmgestalter beim Dachauer Jazzverein, Tony Malaby, William Parker und Nasheet Waits vom Münchner Flughafen abholte, erzählten sie ihm Neuigkeiten aus New York. Im Stadtteil Brooklyn explodiert die Jazzszene, täglich finden bis zu 40 Konzerten junger Musiker statt. Weil so viel Publikum für die Freie Musik um das Zentrum der berühmten Knitting Factory nicht einmal in dieser Metropole vorhanden ist, müssen die Bands für Auftritte in den Clubs und Cafés manchmal sogar zahlen. Einer der Gründer der Knitting Factory ist übrigens der Gitarrist Elliot Sharp, der in Dachau ein sensationelles Soloalbum beim Jazz e.V. aufnahm.

Bassist William Parker und Tamarindo Tony Malaby am Saxofon deuten den Ausweg der Ekstase, der völligen Lösung in die Eruption, mithin in den Free Jazz, nur an. Doch wer sich auf die Musik einlässt, erlebt ein beglückendes Konzert. (Foto: Toni Heigl)

Nun, am Freitagabend schaute der städtische Kulturamtsleiter Tobias Schneider in der Dachauer Kulturschranne vorbei, für die er bekanntlich verantwortlich zeichnet. Anscheinend war er interessiert, wie viele Zuhörer sich beim Start zum Internationalen Jazzherbst eingefunden haben. Das Effizienz-Controlling interessierte Klaus Bolland, den Vorsitzenden des Jazzvereins, nicht, weil er vom "Kulturauftrag" überzeugt ist. Doch lassen wir Christa Becker zu Wort kommen. Sie ist einer der ganz treuen Gäste bei den Jazzkonzerten, übrigens auch Gästeführerin der Stadt. Sie sagt: "Die Freie Musik ist eine Kunst, die man nicht einfach so anhören kann. Man muss sich hineinfühlen und hineindenken." Aber wenn es gelingt, dann haben diese Konzerte eine beglückende Wirkung: "Dann gehen ich und mein Mann beschwingt nach Hause." Übrigens von der Altstadt in die Rothschwaige; geschätzte vier Kilometer.

An diesem Freitagabend war der Schrannensaal sehr gut besucht. Dauergast Reinhard Mirbeth mag die Intensität dieser Musik. Tobias Grunert aus München ist das erste Mal hier; er hat schon viel vom Dachauer Jazzclub gehört. "Aber wir haben es bisher nie geschafft." In der Konzertpause sind sie voll der Bewunderung: "Großartig."

Nasheet Waits erzeugt auf dem Schlagzeug Klangformationen, die in die tiefste Bässe einschließlich archaisch anmutender Tanzrhythmen hinabreichen. William Parker lässt den Bogen auf dem Kontrabass vibrieren. Poetisch betrachtet, schaffen die Musiker ein Landschaftsbild, was durchaus zur Kunstgeschichte Dachaus passt. Es ist kein sehr gegenständliches, sondern eines der sich ständig steigernden Verdichtung. Im traditionellen Bild würde eine Gewitterstimmung entstehen, die sich in die Klarheit reinigenden Lichts entlädt. Aber Malaby, Parker und Waits als Trio Tamarindo meiden das Idyll. Den Ausweg der Ekstase, der völligen Lösung in die Eruption, mithin in den Free Jazz, deuten sie nur an. Die drei schaffen eine Musik der Verhaltenheit. Es entsteht ein Kosmos der gegenläufigen Spannungen, der Fragmente, die neu wieder auftauchen.

Das Konzert endet mit einem Moll-Akkord von William Parker. Und es begann mit einem Ton von Tony Malaby, der das Rätsel seines wunderbar warmen Timbres birgt. Malaby haucht in sein Saxofon. Es ist sein Atem-Ton, Malabys Blues. Christa Weber staunt, dass sie diese Musik als harmonisch empfindet. "Dabei ist sie es gar nicht." Sie ist ein Versprechen auf Harmonie. Die drei New Yorker sind klassisch-europäische Idealisten.

© SZ vom 26.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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