Dachauer Kulturschranne:Er faucht und schnurrt

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Ein Mann, ein Tier: Verwandlungskünstler Thomas Streipert entflammt das Publikum mit dem Stück "Die Geschichte einer Tigerin" von Dario Fo.

Dorothea Friedrich

Der Mann hat den Tiger im Tank. Er faucht und schnurrt. Er schlägt mit seinen gewaltigen Pranken zu und schleckt behutsam sein Junges ab. Aber er ist auch der hilflose, verwundete Soldat, der sich auf dem berühmt-berüchtigten "Langen Marsch" der chinesischen Kommunisten im Jahr 1934/35 irgendwo im Himalaya in eine Höhle gerettet hat.

Mal Tiger, mal Soldat und dann Dörfler: der vielseitige Bariton und Schauspieler Thomas Streipert. (Foto: DAH)

Er ist der listige Dörfler, der zur Rettung seiner Heimat vor den Truppen des Chiang Kai-shek zu ungewöhnlichen Mitteln greift. Er ist der selbstgefällige Parteibonze, der mit Drohungen die dummen Bauern einschüchtern will. Und, er ist der Erzähler einer Parabel voller Witz und hintergründigen Anspielungen, hinter denen sich ein ganzes Universum an Beziehungsgeflechten verbirgt.

Um "Die Geschichte einer Tigerin" des italienischen Nobelpreisträgers Dario Fo glaubhaft auf die Bühne zu bringen, bedarf es also eines Mannes, der den Tiger im Gehirn-, Gestik- und Mimiktank hat. Der vielseitige Bariton und Schauspieler Thomas Streipert ist ein solcher Mann. Das zeigte er am Mittwochabend in der Kulturschranne bei der Premiere des Solostückes in einer Inszenierung des Hoftheaters Bergkirchen, die Ulrike Beckers besorgt hat.

Laut dröhnt "Der Osten ist rot", die pompöse Verherrlichung der chinesischen Revolution, aus den Lautsprechern der Kulturschranne. Auf der Bühne macht sich ein Mann in der längst vergessenen Einheitskleidung des nur noch nominellen Arbeiter- und Bauernstaates etwas unbeholfen mit einer roten Fahne zu schaffen. Und erzählt dabei, wie ihm eine bedrohliche Großkatze in jener Höhle im Himalaya begegnet ist, und er fürchtete, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Ist er doch für den "Elefantentiger" nur ein willkommener Snack. Aber es kommt anders. "Tigerspucke" erweist sich als Heilmittel für ein brandiges Bein, Tigermilch als lebensrettend. Und dann kehrt sich die Geschichte um. Der Pflegefall wird zum mehr oder weniger freiwilligen Koch für seine Tigerfamilie, weil die Geschmack an gebratenem Fleisch gefunden hat. Der Mann flüchtet und erzählt in einem Dorf seine Geschichte. Die ihm niemand abnimmt, bis die Tigerin und ihr Junges auftauchen und sich als Geheimwaffe gegen die Feinde erweisen. Und diese Waffe lassen sich die von sich wegduckenden Untertanen zu aufrechten Mutbürgern gewandelten Dorfbewohner auch nicht von den allgewaltigen Vertretern der Partei wegnehmen.

Wie Streipert in die unterschiedlichsten Rollen schlüpft, mal mit Angst machendem "Grrooaarraaoorr" als Tigerin auf der kleinen Bühne hin und her springt, dann wieder als kochender Soldat über die Rollenverteilung von Mann und Frau sinniert oder als unbedarfter Dörfler den arrogant lächelnden Parteivertretern Paroli bietet, ist sehens- und hörenswert. Streipert zieht mit seiner Wandlungsfähigkeit die Zuschauer vom ersten Augenblick an in seinen Bann. Er steigert sich bis zu akrobatischen Szenen, die das Publikum immer wieder mit Applaus honoriert.

Streipert und Regisseurin Becker haben mit dieser Inszenierung eindrucksvoll umgesetzt, was Dario Fo anlässlich der Nobelpreisverleihung sagte: "Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. Sie sind Anzeichen für kritischen Sinn, Phantasie, Intelligenz und das Gegenteil von Fanatismus." So ist das 1978 geschriebene Stück noch heute aktuell. Nicht nur weil sich der erklärte Feind des Autors, der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, als zahnloser Tiger entpuppt. Sondern auch, weil Dario Fo zeigt, dass festgefahrene Rollen sich zum Nutzen aller Beteiligten umkehren lassen. Wenn man den Tiger im eigenen Tank entdeckt und es so macht: "Wir haben der Partei nicht gehorcht, sondern sie in einen Hühnerstall gesteckt."

Nächste Vorstellung: Mittwoch, 23. November, 20 Uhr, Kulturschranne Dachau

© SZ vom 07.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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