Dachau:Späte Würdigung

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1941/42 erschossen die Nazis mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene bei Dachau. Am Mittwoch werden die sterblichen Überreste ermordeter Rotarmisten auf dem ehemaligen SS-Schießplatz bestattet.

Helmut Zeller

70 lange Jahre währte das Schweigen über das Verbrechen, aber jetzt, am 22. Juni, kommt die Vergangenheit mit voller Wucht zurück: Am Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion werden die sterblichen Überreste ermordeter unbekannter Rotarmisten am ehemaligen "SS-Schießplatz Hebertshausen" bestattet.

Von September 1941 bis Juni 1942 erschossen SS-Einheiten des KZ Dachau völkerrechtswidrig zwischen 4300 und 4500 Kriegsgefangene, weil sie Politkommissare, Juden oder Offiziere und Intellektuelle waren. (Foto: Toni Heigl)

165 bis zu handtellergroße Schädel- und Kieferfragmente sind bei archäologischen Ausgrabungen 2001 gefunden worden. Ein Indiz dafür, wie grausam die SS vorging.

"Die meisten wollen es lieber im Schweigen belassen", hatte Josef Königer, katholischer Pfarrer der Dachauer Nachbargemeinde Hebertshausen, noch 2006 gesagt. Das wird aber nun so leicht nicht mehr sein. Von September 1941 bis Juni 1942 erschossen SS-Einheiten des KZ Dachau völkerrechtswidrig zwischen 4300 und 4500 Kriegsgefangene, weil sie Politkommissare, Juden oder Offiziere und Intellektuelle waren.

Dachau, dessen Name ein Symbol für die KZ-Gräuel ist, war auch ein Schauplatz des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion, in dessen Verlauf 27 Millionen Zivilisten und Soldaten getötet wurden. Mehr als drei Millionen Rotarmisten starben in deutschen Gefangenenlagern einen qualvollen Hungertod. Oder sie wurden zur Erschießung an SS und Gestapo ausgeliefert, wie nach Dachau, einem der zentralen Exekutionsorte auf deutschem Reichsgebiet.

Auch im KZ Flossenbürg, in Neuengamme, Mauthausen, Buchenwald oder Sachsenhausen tötete die SS Kriegsgefangene. In Hebertshausen waren wochenlang die Gewehrsalven der Exekutionskommandos zu hören. Historiker haben die Geschichte der Massaker erforscht, die Identität der Opfer ist jedoch in den allermeisten Fällen unbekannt.

Aber Politik und Bürger wollten an das Verbrechen ohnehin nicht erinnern. Der Freistaat Bayern ließ das Gelände jahrzehntelang verwahrlosen. Proteste von sowjetischer Seite und Initiativen der Lagergemeinschaft Dachau blieben unbeachtet. Es gab schon Bedenken, als etwa Hebertshausen ein neues Wohngebiet auswies.

Aber es bekam den fröhlichen Namen "In der Au" und ist außerdem durch einen Erdwall vom Ort des Massakers abgeschirmt. "Sie haben es damals ignoriert, und es ist heute noch weniger ein Thema", sagte Maria Seidenberger nach der Verleihung des Dachauer Zivilcourage-Preises im Jahr 2005 an sie. Als 17-Jährige hatte sie Briefe von Häftlingen aus dem KZ herausgeschmuggelt.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, nimmt an der Bestattung teil. Sie freue sich, sagte Knobloch der SZ, dass dieser Ort des Leids nach jahrzehntelanger Vernachlässigung eine angemessene Würdigung erfahre. Die Opfer, jüdische wie nichtjüdische, dürften nicht vergessen werden.

An dem Gedenkakt um elf Uhr nehmen auch der russische Generalkonsul Andrej Grozow und Alexander Ganevich, Generalkonsul der Republik Belarus, teil. Nach SZ-Berichten über die Knochenfunde ermittelte 2006 die Staatsanwaltschaft München I. Aber die Täter sind inzwischen gestorben, einer 1974 zu Hause in Dachau. Der "SS-Schießplatz" gehört heute zur KZ-Gedenkstätte und wurde als Friedhof ausgewiesen. Der Bund hat die Mittel dafür bewilligt, nur die Gegenfinanzierung durch den Freistaat Bayern steht laut Gedenkstätte noch immer aus. Helmut Zeller

© SZ vom 17.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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