Dachau:Nächstenliebe gnadenlos ausgenutzt

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Das Kloster Altomünster nahm einen 23-jährigen Obdachlosen auf und wurde von ihm bestohlen. Nun muss er in Haft

Von Benjamin Emonts, Dachau

Mehrere Monate nachdem Jörg Johannes Fehlner vom Vatikan als Klosterdirektor in Altomünster abgesetzt worden war, trat er nun als Zeuge in einem beklemmenden Gerichtsprozess am Dachauer Amtsgericht auf. Fehlner hatte einem 23-jährigen Obdachlosen aus dem Landkreis Dachau in dem Kloster der Birgitten Obhut gegeben. Vor dem Dachauer Schöffengericht musste dieser Mann sich nun wegen Diebstahls wertvoller Gegenstände des Klosters und zahlreicher anderer Straftaten verantworten. So hatte er in Dachau-Süd einer 59-jährigen Frau die Handtasche geraubt. Die Schöffen verurteilten den jungen Mann zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.

Der damalige Klosterdirektor Fehlner schilderte dem Gericht, wie er den Angeklagten Mitte November 2015 kennengelernt hatte. Er beschrieb den 23-Jährigen als "jungen, vernünftigen und zuvorkommenden Mann", der im Kloster um Hilfe gebeten habe. "Die christliche Nächstenliebe" habe ihm geboten, den Mann aufzunehmen, sagte Fehlner. Der 23-Jährige bekam Verpflegung und ein Zimmer zum Übernachten. Außerdem besorgte ihm Fehlner auf eigene Kosten Kleidung und stellte ihm eine Hilfstätigkeit in einem örtlichen Handwerksbetrieb in Aussicht. Im Gegenzug half der Angeklagte im Kloster bei Alltagsarbeiten aus. Fehlner war anscheinend geradezu begeistert von dem jungen Mann, wie er dem Gericht wortreich schilderte.

Doch das Bild änderte sich schnell. Der junge Mann machte Unordnung in den Räumen des Klosters und sah sich auf dem kirchlichen Dienstrechner anzügliche Filme an. Nach nur elf Tagen erfolgte der Rausschmiss. Der Angeklagte brach mit einem Schlüssel, den er für sich zurückgehalten hatte, wenige Nächte später in das Kloster ein. Dabei soll er 300 Euro Bargeld, einen wertvollen Füller, einen Rosenkranz und Ausweise des ehemaligen Klosterdirektors gestohlen haben. Zudem war eine Flasche mit einem verschreibungspflichtigen Medikament leer. Fehlners Zigarren lagen zerbrochen in dessen Auto.

Aus dem "Klosterstadl" verschwanden zwei elektronische Krankenfahrstühle im Wert von jeweils 1000 Euro. Der Schreiner des Klosters sah den Angeklagten damit tags darauf fröhlich in Schlangenlinie durch Altomünster fahren. Er stellte den Mann und hielt ihm bis zum Eintreffen der Polizei fest. Dabei erlitt der Schreiner mehrere Tritte und einen schmerzhaften Strecksehnenriss, der in einem Krankenhaus behandelt werden musste. Den Polizisten leistete der Mann körperlichen Widerstand und teilte wüste Beleidigungen aus. Sie lieferten den Angeklagten in die psychiatrische Klinik in Haar ein. Es folgten Anzeigen wegen Diebstahls, Unterschlagung, Beleidigung, Körperverletzung, versuchter Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Ein DNA-Abgleich hatte zudem ergeben, dass der Mann bereits im November 2014 eine damals 59-jährige Dachauerin beraubt hatte. Als die Frau am Klagenfurter Platz in einen Bus steigen wollte, tauchte der Angeklagte im Dunkeln plötzlich aus dem Hintergrund auf und entriss der Frau derart kraftvoll die Handtasche, dass sie nur noch die Henkel in der Hand hielt. Zwei junge Männer nahmen mit ihren Fahrrädern die Verfolgung auf, woraufhin der Angeklagte die Tasche fallen ließ und flüchtete. Die Frau erlitt bei dem Raub Schmerzen an der Schulter und stand zunächst unter Schock. Der Diebstahl von Lebensmitteln im Januar 2016 erschien dagegen fast schon als Lappalie.

Ein Gutachter bescheinigte dem 23-Jährigen eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung impulsiven Typs. Der Angeklagte habe eine schwere Kindheit durchlebt. Er hat weder einen Schulabschluss noch eine Arbeit und ist die meiste Zeit obdachlos. In der Vergangenheit wurde der vierfach Vorbestrafte etliche Male in psychiatrischen Einrichtungen stationär untergebracht. Um Obdach zu bekommen, so sagte der 23-Jährige, habe er sich 22 Mal freiwillig in Haar einweisen lassen, meist unter dem Vorwand, Selbstmord begehen zu wollen. Außerdem sei er bis vor acht Monaten stark abhängig von Cannabis und Kräutermischungen gewesen. Seine psychische Krankheit habe jedoch nur Einfluss auf seinen Widerstand gegen die Polizisten gehabt, sagte der Gutachter.

"Sie haben immer wieder die Chance bekommen, ihr Leben in die Hand zu nehmen", sagte der Vorsitzende Richter Christian Calame und schloss eine Bewährungsstrafe kategorisch aus. "Es muss nun eine Zäsur erfolgen."

© SZ vom 21.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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