Dachau:Erst die Arbeit, dann das Studium

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Das Seniorenstudium des Dachauer Forums besteht seit 2005 - die Studentenzahl hat sich seit Beginn mehr als verdoppelt.

Anna Schultes

Studenten haben normalerweise das Berufsleben noch vor sich. Ingeborg Fischer hat es hinter sich: Gleich nachdem sie im vergangenen Jahr in Rente ging, schrieb sie sich für den Studiengang "Kulturgeschichte im Landkreis Dachau" ein. Organisiert wird der vom Dachauer Forum, der katholischen Einrichtung für Erwachsenenbildung in Stadt und Landkreis. Ingeborg Fischer lernt, ihre Heimat mit neuen Augen zu sehen: "Viel Interessantes ist nicht weit weg, aber man weiß nichts davon."

Seit sechs Jahren läuft das Seniorenstudium - und das sehr erfolgreich. Die Idee stammt von Veronika Winkler, Fachreferentin für kulturelle Bildung beim Dachauer Forum. "Es ist wichtig, Anteil an dem Leben zu nehmen, das uns umgibt", sagt sie. "Das geht nur, wenn man lernt und neugierig bleibt." Viele haben sich von Anfang an für das Angebot engagiert, etwa Kreisheimatpfleger Norbert Göttler oder Horst Heres vom Museumsverein und dessen Frau Hedi. Das Dachauer Forum kooperiert eng mit dem Stadtarchiv, der Stadtbücherei und dem Museumsverein. Im Mittelpunkt steht die Kulturgeschichte. Veronika Winkler lädt nur Experten als Dozenten ein: "Es ist kein leichtfüßiges, geselliges Angebot". Sie möchte einen universitären Anspruch erfüllen. Das kommt bei den Studenten gut an: Nur zwei oder drei Teilnehmer seien bisher ausgestiegen. Mit dem Studiengang "Kulturgeschichte im Landkreis Dachau" nahm das Seniorenstudium 2005 seinen Anfang - in dem Jahr, in dem die Stadt Dachau ihr 1200-jähriges Bestehen feierte. "Das war ein Glücksfall", sagt Winkler. 50 Teilnehmer schrieben sich prompt ein. Aktuell sind es 125.

Der Studiengang "Bayerische Kulturgeschichte" läuft gerade zum zweiten Mal. Es ist eine Weiterführung des Studiengangs "Kulturgeschichte im Landkreis Dachau", der sich mit der regionalen Sozial- und Kulturgeschichte befasst und Themen wie Brauchtum, Trachten, Volksglaube und Wallfahrtswesen aufgreift. "Wenn man ein vernetztes Wissen über Kulturgeschichte vermitteln will, kann man die Thematik nicht auf den Landkreis eingrenzen", sagt Veronika Winkler. Ergänzt wird das Vorlesungsangebot durch Exkursionen und Studienreisen. Das Studium erstreckt sich über vier Semester, alle zwei Wochen treffen sich die Studenten für zwei Stunden.

Erstmals wird seit 2010 der Studiengang "Helle Köpfe" angeboten, in dem sich die Studenten mit Biographien herausragender Persönlichkeiten beschäftigen. Bei diesem Angebot ist der Andrang am größten. Während in den anderen Studiengängen jeweils eine Gruppe von rund 25 Personen studiert, sind es hier drei Gruppen.

Viele, die 2005 angefangen haben, nutzen jetzt das neue Angebot. Dazu gehören auch Elisabeth und Josef Rieder. "Wenn man ein Berufsleben lang gearbeitet hat, dann möchte man weiter lernen", sagt Josef Rieder. Seit der Maschinenbauingenieur im Jahr 2000 in Pension ging, hat er Zeit dazu. Seine Frau Elisabeth hat sich schon immer für Geschichte interessiert. Besonders was in der unmittelbaren Umgebung passiert ist, möchte die 74-Jährige wissen. Deshalb nutzt das Ehepaar auch zwei Angebote und belegt neben dem Studiengang "Helle Köpfe" auch die Veranstaltungen über Kulturgeschichte im Landkreis.

Anstatt alle zwei Wochen treffen sie sich deshalb jeden Freitagvormittag für zwei Stunden mit den anderen Teilnehmern im Seminarraum des Hotels Central in Dachau. Beide gehen jeden Freitag zu den Vorlesungen über bedeutende Persönlichkeiten und die Kulturgeschichte im Landkreis. Seit 30 Jahren wohnen die Rieders in Hebertshausen. Trotzdem: "Man entdeckt immer noch etwas Neues", erzählt der 76-Jährige. Das Seniorenstudium hat ihn angeregt, sich intensiver mit seiner Umgebung zu befassen. So hat er etwa die Kirche Sankt Georg entdeckt, nicht weit von seinem Haus entfernt. Mittlerweile engagiert sich der 76-Jährige mit seiner Frau beim Sankt-Georgs-Verein, der sich dafür einsetzt, dass die Kirche wieder genutzt wird. Begeisterung und Engagement begegnet Erwachsenenbildnerin Veronika Winkler bei den Studenten oft. "Sie lernen nicht nur für sich selbst, sondern möchten ihr Wissen auch weitergeben." Viele sind jetzt Kirchenführer, Heimatführer oder beteiligen sich an der Geschichtswerkstatt. "Wissen bindet an einen Ort und an die Menschen, die dort leben", erklärt Studentin Ingeborg Fischer.

Das Seniorenstudium richtet sich nicht an bestimmte Altersgruppen, sondern an Menschen, die sich mit Geschichte in allen Facetten beschäftigen möchten", sagt Winkler. Die Veranstaltungen seien vormittags, deshalb kämen besonders Senioren, Freiberufliche und Hausfrauen - die meisten zwischen 60 und 70 Jahre alt. Zwei berufstätige Lehrerinnen Mitte 40 nehmen aber ebenfalls teil, die Ältesten sind über 80.

Besonders freut sich Veronika Winkler, dass ein Drittel der Teilnehmer Männer sind, denn die seien nicht so leicht für die Erwachsenenbildung zu gewinnen. Auch Winkler ist eigentlich schon in Rente. Für die Studiengänge aber stellt sie die Curricula zusammen, sie akquiriert die Referenten und begleitet gemeinsam mit Petra Wetzstein, Referentin für Familienbildung beim Dachauer Forum, die Veranstaltungen.

Im September 2012 startet der nächste Jahrgang, die Anmeldungen laufen. Vielleicht nehmen die neuen Studenten dann neben Ingeborg Fischer oder Elisabeth und Josef Rieder Platz. Denn: "Mit Langeweile kann ich leben", sagt der 76-Jährige. "Aber das ist nur schön, wenn sie durch Denken und handwerkliche Tätigkeiten abgelöst wird."

© SZ vom 05.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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