Dachau:"Das wird eine Erfolgsgeschichte"

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In einem Modellversuch können 16 junge Flüchtlinge im kommenden Schuljahr eine zweijährige Ausbildung an der Dachauer Berufsschule beginnen. Der Arbeitskreis Asyl hat den Anstoß zu dem Projekt gegeben.

Von Gregor Schiegl

gsl_Asyl Die Abiturienten 2012 Bo Xuan Lue, Melanie Bernhardt und Simone Weber (von links) spendeten 2425 Euro für das Ausbildungsprojekt, das der Asylberwerber Roni Mohiyeddin Othmann (2. von rechts) von September an besuchen kann. Foto: privat (Foto: privat)

Im Dezember 2012 kam Roni Mohiyeddin Othman ins Asylbewerberheim nach Dachau. Der 16-jährige Gymnasiast war mit seiner Familie aus Syrien geflohen; in dem Land tobt ein blutiger Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime und Rebellen. In Dachau war Roni zwar sicher. Aber er, der so gerne weitergelernt hätte, um so wie sein Onkel auch einmal in die Elektronik- und Computerbranche einzusteigen, konnte nichts tun als Däumchen drehen und Löcher in die Luft gucken.

Das ändert sich nun grundlegend: Vom Schuljahr 2013/14 an gibt es an der Berufsschule Dachau ein zweijähriges Bildungsangebot für Asylbewerber und Flüchtlinge zwischen 16 und 21 Jahren. Für diese Jugendlichen gab es in der Vergangenheit kein adäquates Angebot, auch wenn Schulamtsleiterin Isolde Stefanski sich immer sehr um Lösungen bemühte - wie in Ronis Fall, oft vergeblich. "Mein Problem war das Alter der Jugendlichen: Ich konnte sie nicht zu 12-, 13-Jährigen stecken."

Das Pilotprojekt an der Dachauer Berufsschule für zunächst 16 Schüler wird von Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilian-Universität München begleitet, um Grundbausteine auch für andere Schulen zu entwickeln. Künftig soll es derartige Angebote flächendeckend in ganz Bayern geben. Vom Schuljahr 2014/15 an will das Kultusministerium die Regelförderung übernehmen. Noch finanzieren Sponsoren das Projekt: der Lions-Club und die Volksbank Dachau mit jeweils 3000 Euro, sowie der Abiturjahrgang des Ignaz-Taschner-Gymnasiums, der von seiner Abschlussfeier noch rund 2400 Euro übrig hatte.

Johannes Sommerer, Leiter der unweit vom Asylbewerberheim gelegenen Berufsschule Dachau, arbeitet bereits intensiv an einem Stundenplan. Es soll ein Fach wie "Lebenskunde" geben, das den Jugendlichen hilft, sich im Alltag zurechtzufinden, die Kultur zu verstehen, aber auch ihre praktischen Fähigkeiten fördern, um sie auf eine Ausbildung vorzubereiten. 25 Wochenstunden Schulunterricht sind vorgesehen, dazu zehn Wochenstunden Deutschunterricht. "Diese Menschen sind Inseln", sagt der stellvertretende Leiter der Volkshochschule Dachau über die jungen Flüchtlinge. Kulturell und sprachlich seien sie von ihrer Umwelt meist völlig isoliert, deshalb seien die Sprachkenntnisse auch so wichtig.

Erst kürzlich hatte sich der Freistaat dazu entschlossen, erstmals allen Asylbewerbern den Zugang zu Deutschkursen zu ermöglichen. Eine wichtige Weichenstellung, die damit dem Projekt an der Berufsschule Dachau den Weg bereitet. Die Initiative dazu ging allerdings vom Arbeitskreis Asyl Dachau aus. Seit Jahren beklagt er, dass die jugendlichen Flüchtlinge keine Berufs- und Lebensperspektive bekommen. Allein in Dachau gibt es derzeit 67 Asylbewerber und Flüchtlinge im berufsschulpflichtigen Alter. "Roni war für mich der Fall, der das Fass zum Überlaufen brachte", sagt Waltraud Wolfsmüller. Sie habe nicht mehr länger mitansehen können, wie junge Flüchtlinge gezwungen seien, in den Tag hineinzuleben und ihre Fähigkeiten und Potenziale verkümmern zu lassen.

Beim Dachauer Landtagsabgeordneten Bernhard Seidenath rannte Waltraud Wolfsmüller offene Türen ein. "Die Leute, die zu uns kommen, sind motiviert", sagt der CSU-Politiker, "die wollen was lernen. Mir war klar: Da müssen wir was tun." Auch auf Kreisebene stößt die Idee auf große Sympathie. "Junge Menschen sollen sich bei uns willkommen fühlen", sagt die stellvertretende Landrätin Eva Rehm (CSU). "Die Zeit bei uns - das sollen keine verlorenen Jahre für sie sein."

Nach dem Vorstoß des AK Asyl schmiedete Seidenath eine breite Allianz. Vor drei Wochen wurde er beim Kultusministerium vorstellig - und fand Gehör. Nun investiert der Freistaat erstmals in die Förderung, Bildung und Ausbildung junger Flüchtlinge. Von einem "Paradigmenwechsel in Bayern" spricht der oberbayerische Regierungsschuldirektor Jürgen Ersing. "Ich bin erstaunt, was das für Dimensionen angenommen hat", sagt Waltraud Wolfsmüller vom Arbeitskreis Asyl. "Das war ganz tolle Teamarbeit, das hätte ich mir so nicht träumen lassen."

Begeistert zeigt sich auch Regierungsschuldirektor Jürgen Ersing: "Ich bin sicher, das wird eine Erfolgsgeschichte." Früher habe man gedacht, die Flüchtlinge gingen alle wieder zurück in ihre Heimatländer, außerdem habe noch vor einigen Jahren akuter Mangel an Ausbildungsplätzen geherrscht. Jetzt aber suchten die Unternehmen händeringend Nachwuchs. Und selbst wenn die Flüchtlinge doch wieder in ihre Heimat zurückkehrten: "Das ist Werbung für Deutschland", sagt Ersing. "Diese Menschen werden Handel mit uns treiben: eine Win-Win-Situation."

© SZ vom 11.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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